Auf die Frage, was eigentlich hanseatisch ist, gibt es wahrscheinlich viele Antworten – im Kern aber sind etliche davon recht ähnlich. Aber der Reihe nach.
Geht man nach Äußerlichkeiten, so definiert sich der hanseatische Stil über eine bestimmte modische Zurückhaltung, die sich in gedeckten Farben und edlen Stoffen ausdrückt. Der klassische Blazer, wie er bei Ladage & Oelke geführt wird, gehört mit Sicherheit ebenso dazu wie die gestreifte Bluse. Soweit das Klischee, was vor allem auf den Business-Etagen nach wie vor stimmt.
Mindestens ebenso hanseatisch ist allerdings auch der Casual-Look aus Troyer (Seemannspulli mit Reißverschluss am Kragen), Chinos und Seglerschuhen. Nur laut darf die Mode nicht sein, weil es der Hanseat auch nicht ist. Warum die Mode bei der Suche nach einer Definition wichtig ist? Weil Stil immer auch Bekenntnis zu einer Einstellung ist – und damit sind wir bei der zweiten Ebene des Begriffs hanseatisch angekommen: dem Lebensstil.
Ehrbarkeit
Der ist natürlich deutlich wichtiger als die Mode, aber man sieht ihn halt nicht. Da hilft nur ein Ausflug in die Geschichte weiter: Als Hanseaten bezeichneten sich seinerzeit die Kaufleute, die währender Zeit der Hanse zu Ruhm und Reichtum gelangt waren. Das betraf allerdings nicht nur Hamburger Kaufleute, sondern auch solche aus Lübeck oder Bremen. Schnell wurde aus dieser recht sachlichen Bezeichnung ein Qualitätsbegriff für Ehrbarkeit. Aus gutem Grund nannte Johann Hinrich Gossler die von ihm gegründete Berenberg-Bank „Die Bank der feinen Hanseaten“.
Ästhetik
Doch die Hanseaten bestimmten nicht nur die kaufmännischen Geschicke in Hamburg. Sie sind auch wesentlich mit dafür verantwortlich, dass das Stadtbild so ästhetisch ist, wie es sich heute vielfach darstellt. Denn die wohlhabenden Hanseaten trieb es vor allem im Sommer und an den Wochenenden raus aus der stickigen, engen Stadt. Sie errichteten im Grüngürtel Hamburgs ihre Sommerresidenzen. Aber nicht nur prachtvolle Bauten waren ein Markenzeichen des hanseatischen Lebensstils. Auch viele der weiträumigen Parks und Grünanlagen Hamburgs sind ein Erbe der Hanseaten. Die Kaufleute hatten aus fernen Ländern nicht nur exotische Pflanzen mitgebracht, von denen einige im rauen, nördlichen Klima durchaus gediehen, sondern auch Garten-Impressionen aus aller Welt.
Kurioserweise waren die prachtvollsten Gartenlandschaften damals in Billwerder zu finden. Dort befand sich um 1630 beispielsweise der Sommersitz des Licentiaten Johann Garmers, eine idyllische Anlage mit Pavillon, offenbar nach niederländischen Vorbildern gestaltet. Als wahres Meisterstück galt der Garten des dänischen Admiralitätsrats Paul von Klingenberg an der Alster: eine Anlage mit einem Labyrinth.
Die Hanseaten späterer Jahrhunderte zog es dann mit Macht an die Elbe. Das adelte beispielsweise das bettelarme Blankenese, ein Fischerdorf, das nach und nach immer begehrter wurde. Vor allem aber machten die Hanseaten eine Straße berühmt, die bis heute international als Geld-und-Einfluss-Meile par excellence gilt: die Elbchaussee. Ab 1780 wurde der Sandweg, der damals dort verlief, zu einer schmalen Straße ausgebaut. Ab 1829 dann zur Chaussee. An ihr siedelten sich Reeder und Kaufleute an, sie erschufen prächtige Herrschaftssitze. Das wohl bekannteste Gebäude war die sogenannte Säulenvilla am Schulberg, die 1817 für den Kaufmann Wilhelm Brandt gebaut wurde. Der wiederum hatte das Gelände einem Othmarscher Bauern abgekauft hatte. Brandt hatte lange in Sankt Petersburg gelebt und gearbeitet, und das mondäne Haus an der Elbchaussee ist angeblich durch ein russisches Schloss inspiriert.
Weltoffenheit
Damit sind wir – neben dem kaufmännischen Geschick und der Disretion als hanseatische Kardinaltugenden – bei einem weiteren Charakterzug eines echten Hanseaten angekommen: der Weltoffenheit. Diese war natürlich darin begründet, dass Reeder und Kaufleute regen Kontakt mit Menschen aus anderen Ländern pflegten. Im Gegenzug kamen auch viele Menschen anderer Nationalitäten zum Arbeiten in die Hansestadt – Multikulti war hier längst Alltag, bevor es den Begriff überhaupt gab. Trotzdem gibt es – und das bis heute – durchaus Ecken von Hamburg, in denen Menschen aus anderen Städten auf ewig als Zugezogene gelten, auch wenn man das nicht gern zugibt.
Gemeinsinn
Hamburg wäre zudem nicht Hamburg, wenn die Stadt nicht eine Besonderheit aufweisen würde: den Gemeinsinn der Hanseaten. Der führte unter anderem dazu, dass die Stadt mit der Hamburger Kunsthalle ein einzigartiges Museum besitzt. Denn die BürgerInnen der Hansestadt finanzierten den prächtigen Bau des 1869 eröffneten Kunstmuseums und sie stifteten ihre privaten Kunstschätze als Grundstock für die Sammlung. Auch heute noch gehört dieser Gemeinsinn zum guten Ton. Etwa bei der Stiftung Hamburg Maritim, der es dank des Engagements vieler Hanseaten gelang, die Peking als neues Wahrzeichen der Stadt wieder zurück nach Hause zu holen. Auch die Elbphilharmonie, diese „Freiheitsstatue des Bürgertums“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte, wäre durch die Spendenbereitschaft der Hamburger wohl nie entstanden.
Genuss
Ebenfalls typisch hanseatisch sind einige Spezialitäten. Dazu gehört auch der Hanseat, ein Mürbeteig-Keks der nicht einmal aus Hamburg stammt, sondern in Lübeck erfunden wurde. Hanseatisch ist das Gebäck aber dennoch. Ein waschechter Hamburger dagegen ist das Franzbrötchen. Es enstand in der Hamburger Franzosenzeit (1806 bis 1814) und soll aus dem sogenannten Franzbrot entstanden sein: Ein Hamburger Bäcker habe dieses Baguette-ähnliche Brot in Fett angebraten, daraus habe sich das Franzbrötchen mit Zucker und Zimt entwickelt. So zumindest die Legende. Nachprüfen lässt sich die Geschichte nicht. Das macht aber nicht, denn das Franzbrötchen ist und bleibt eine Hamburger Spezialität.
Fairplay
Der Hanseat aber ist nicht nur ein Genießer, er weiß auch, wie er überflüssige Pfunde wieder loswird: auf dem Wasser. Rudern und Segeln sind die unangefochtenen Lieblings-Sportarten der Hamburger, dicht gefolgt von Hockey. Ein Sprichwort sagt, dass jemand, der auf der Alster segeln gelernt hat, überall segeln kann. Denn zwischen den bebauten Ufern wechseln die Winde ständig. Und beim Rudern und Hockey kommen Gemeinsinn und Fairplay zusammen zum Tragen.