Sankt Georg – Mal liederlich, mal glamourös, dabei von den meisten heiß begehrt


Blick vom Hauptbahnhof zur Dreieinigkeitskirche, St. Georg; im Hintergrund die Außenalster. Foto Dirtsc

Als „buntscheckiges Allerlei“ galt der Stadtteil St. Georg schon im vergangenen Jahrhundert; dieses Charakteristikum als multikultureller Stadtteil hat er bis heute behalten. Auf dem überschaubaren Kiez mit seiner Hauptstraße Lange Reihe leben zwischen Außenalster und Hauptbahnhof Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen, die wesentlich zur Attraktivität beitragen.
Das Viertel verdankt seinen Namen dem Lepra-Hospital, das 1194 außerhalb der Stadt gegründet und nach dem heiligen Georg (zunächst Jürgen) benannt worden war. Den Stadtteilpatron trifft man an mehreren Stellen an, zum Beispiel als vergoldete Reiterfigur bei der Apotheke „Zum Ritter“ (Lange Reihe Nr. 39) oder auf der Spitze des 67 Meter hohen Turmes der Dreieinigkeitskirche.
Charakteristisch für St. Georg sind die Passagen und Terrassen, Gänge und Hinterhöfe, die vor allem um das Zentrum des quirligen Stadtteils, der Langen Reihe, zu bewundern sind. (Ihren Namen verdankt die Lange Reihe einer alten Bestimmung, dass nur auf der Seite zur Alster hin Häuser gebaut werden durften, die sich folglich reihten).
Im Zweiten Weltkrieg wurde insbesondere der Ostteil St. Georgs schwer zerstört, nach 1966 war das Stadtviertel vorübergehend vom völligen Verschwinden bedroht. Nach Planungen der Neuen Heimat zum Bau eines „Alsterzentrums“ sollten alle Gebäude zwischen Außenalster und Hansaplatz abgerissen werden, damit für 1 Milliarde DM Wohn- und Geschäftstürme mit bis zu 60 Stockwerken entstehen könnten – ein „Alster-Manhattan“.
Doch im Viertel regte sich Widerstand, organisiert in einer Bürgerinitiative. 1973 gestand Bürgermeister Schulz (SPD) ein: „Dieser Alptraum aus Beton ist weggewischt“.
Heute ist die Lange Reihe einer der wenigen erhaltenen Altstadtstraßen Hamburgs mit vielen Häusern, die unter Denkmalschutz stehen. Gehörte früher die Straße kleinen Krämern und Handwerkern, war sie bis in die 90er-Jahre wegen ihrer Stricherkneipen und als Drogenumschlagsplatz verrufen, heute ist sie einer der Gastronomie-Hotspots Hamburgs. Auf den gut 750 Metern drängeln sich rund 40 Restaurants, Cafés und Kneipen. 

Die Turnhalle in der Langen Reihe gehörte zur 1889/90 erbauten ehemaligen Volksschule in der Koppel 98. Heute ist dort das Restaurant Turnhalle St. Georg untergebracht. Das Angebot reicht vom edlen Restaurant wie dem Cox, über die Turnhalle bis hin zu den „alteingesessenen“ charmanten Restaurationen wie das Café Gnosa oder das Café Uhrlaub. Entlang dieser Straße befindet sich auch das Lesben- und Schwulenviertel Hamburgs, wo einmal im Jahr die Parade zum Christopher Street Day startet. 
Dem Bürgerverein St. Georg ist es zu verdanken, dass eine Gedenktafel den Geburtsort von Hans Albers (1891–1960) in der Langen Reihe 71 ziert. Der „blonde Hans“, der Hamburger schlechthin, wurde also nicht auf St. Pauli geboren – wie fälschlicherweise oft angenommen.

Eine andere Straße, die das Viertel prägt, ist der Steindamm. Nach 1945 als vierspurige Straße umfunktioniert, verlor er (es war die erste gepflasterte Straße, die sie aus Hamburg hinaus führte) an Wohnwert und büßte auch den Status der renommierten Geschäftsstraße ein. Dies änderte sich erst wieder, nachdem man den Straßenverkehr einengte und den Fußgängern mehr Raum gab.
Der Bereich am Steindamm ist heute einerseits stark türkisch-moslemisch geprägt mit zahlreichen türkische und orientalische Restaurants, Geschäften und Moscheen, doch andererseits ist der Bereich zwischen Hauptbahnhof und Stralsunder Straße auch durch Sexshops und Prostitution gekennzeichnet. Das änderte sich in den letzten Jahren vor allem durch kulturelle Angebote: Das wiedereröffnete Hansa Varieté Theater, das politische Kabarett Polittbüro und das in diesem Jahr neu eröffnete Savoy Kino, das englisch-sprachige Filme im Original zeigt, ziehen auch wieder ein anderes Publikum an den Steindamm. Eine bunte Mischung also.
Vergoldete Ritterfigur bei der Apotheke „Zum Ritter St. Georg“ in der Langen Reihe Nr. 39

Zwischen Langer Reihe und der Alster war nach dem Bau des Hauptbahnhofs Anfang des 20. Jahrhunderts ein wahres „Hotelviertel“ entstanden, das in den letzten Jahren weiter ausgebaut wurde. Vom noblen Hotel Atlantic Kempinski an der Außenalster bis zum Hostel „Superbude“ verzeichnet der Stadtteil auch wegen der guten Infrastruktur, ständig steigende Übernachtungszahlen, da kann es nicht ausbleiben, dass auch Investoren beginnen sich für das Viertel zu interessieren. Die Folgen können in anderen Stadtteilen besichtigt werden: Modernisierungen ziehen Mieterhöhungen nach sich und verändern durch eine entsprechend zahlungskräftigere Klientel ihren Charakter. Da kann die multikulturelle, in der Stadtteilpolitik sehr engagierte Einwohnerstruktur der letzten Jahrzehnte schon auf der Strecke bleiben – zählen Eigentumswohnungen auf St. Georg doch mittlerweile zu den teuersten der Stadt. 
Der sanierte Hansaplatz. Foto: Flamenc

Deshalb schlossen sich Grundeigentümer der Langen Reihe und des nahen Hansaplatzes nach dem Gerangel um das Buchantiquariat Wohlers im August dieses Jahres zusammen, um einen „Letter of Intent“ zu unterzeichnen. Ziel ist es den vielen Inhabergeführten Läden, Cafés und Kneipen erschwingliche Mieten zu erhalten, um so weiterhin den attraktiven Gewerbemix bieten zu können. Das geschieht sicher nicht uneigennützig – aber immerhin – die Chance auf die Stadtteil prägende Vielfalt und die charmante Atmosphäre ist gegeben.

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