Hamburger Sturmflut: die Nacht, in der das Wasser kam

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Auch heute noch ist Hamburg regelmäßig von der Flut betroffen – aber nicht mit solch dramatischen Folgen wie 1962- ©Felicitys_View

Kaum ein anderes Ereignis hat das Nachriegs-Hamburg so erschüttert wie die große Sturmflut von 1962. Heute ist es 60 Jahre her, als die gigantischen Wellen von der Nordsee heranrollten und weite Teile der Hansestadt unter Wasser setzten.

Die Katastrophe kann in diesem Ausmaß niemand absehen. Dennoch sind die Zeichen da: Bereits ab dem 12. Februar drücken Nordseestürme immer wieder Wasser in die Elbmündung, es kommt zu zwei kleineren Sturmfluten. Dann baut sich am am 15. Februar das Sturmtief „Vincinette“ aus nordwestlicher Richtung von Island her auf und fegt über die Nordseeküste hinweg. Vincinette sollte der Auslöser für die schlimmste Sturmflut sein, die Hamburg seit mehr als 100 Jahren erlebt hat.

Mit Booten machten sich Retter auf durch die überfluteten Gebiete. @Alle Schwarz-Weiß-Fotos: Staatsarchiv Hamburg

Am 16. Februar gibt das Deutsche Hydrographische Institut eine Sturmflutwarnung für die kommende Nacht heraus. Da toben orkanartige Böen bis Stärke 13 und drücken das Wasser in die Elbmündung hinein. Ab mittags gilt für Hamburger Feuerwachen der Ausnahmezustand. Der Höhepunkt des Sturms tritt um 22 Uhr ein. Da hat er eine solche Wucht entfaltet, dass er nicht mehr gemessen werden kann – bei 14 Windstärken versagten die Instrumente.Zu diesem Zeitpunkt sichern Feuerwehren, Deichverbände, das Technische Hilfswerk und Pioniere die Deiche.

Gegen 22 Uhr scheint die Wucht des Sturms abzunehmen. Die Feuerwehr rückt wieder ein. Doch bereits eine Dreiviertelstunde später gibt die Polizei die Warnstufe 3 heraus.

Bereits der erste Deichbruch fordert acht Todesopfer

Einige Häuser wurden von den Wassermassen quasi halbiert

Ab Mitternacht ist es dann so weit: Die ersten Deiche laufen über. Cranz, Neuenfelde, Francop, Finkenwerder, Waltershof und Altenwerder bis hinunter nach Moorburg werden überflutet. Aber auch nördlich der Elbe, wie in Billwerder-Moorfleet, stehen Gebiete unter Wasser.

Kurz darauf fallen in den betroffenen Gebieten die Telefonverbindungen und der Strom aus. Für die meist schlafenden Hausbewohner in den Flutgegenden ist das fatal, sie werden gar nicht, oder spät gewarnt. Um zwei Uhr nachts trifft die Katastrophe schließlich Wilhelmsburg: Am Spreehafen bricht der Deich. Mehr als 200 Menschen sterben.

In Willhemsburg siedeln vor allem Ausgebombte und Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone. Sie sind in Schrebergartenkolonien und Behausungen untergebracht, die nur aus provisorischem Baumaterial bestehen. Europas größte Flussinsel liegt zudem sehr tief, zwar umrahmt von Deichen, aber diese sind zu alt und zu niedrig, um die Wassermassen abzuwehren. Die Elbinsel gleicht einem Kessel, in dem die Anwohner der Flut hilflos ausgeliefert sind.

Am Morgen übernimmt der Polizeisenator

Ein Blick auf Höfe im Flutgebiet

Der Polizeisenator übernimmt: Helmut Schmidt als Krisenmanager

Ein Name ist mit der Sturmflut von 1962 untrennbar verbunden: Helmut Schmidt, Der ehemalige Bundeskanzler ist damals Polizeisenator von Hamburg. Am Morgen des 17. Februar kommt er um kurz nach sechs im Polizeipräsidium an. Sofort übernimmt er die zentrale Koordination der Hilfsmaßnahmen. Die Stadt befindet sich mittlerweile im Ausnahmezustand. Rund 100.000 Bewohner sind vom Wasser eingeschlossen.Die gigantische Wassermenge von mehr als 200 Millionen Kubikmeter hat ein Sechstel des Stadtgebiets überflutet.

Die Rettungsmaßnahmen rollen unter dem Kommando Schmidt schnell an. Mit Hubschraubern und Booten werden die Menschen aus den überfluteten Gebieten geborgen. Knapp 2.000 Menschen werden aus unmittelbarer Lebensgefahr gerettet und insgesamt 12.000 Evakuierte auf etwa 50 Auffanglager verteilt. Dafür stehen Schulen und Turnhallen zur Verfügung.

Damit nicht genug, bittet Schmidt gleich morgens die Bundeswehr und die NATO um Hilfe. Dabei geht er einen unkonventionellen Weg: Er ruft die Befehlshaber kurzerhand persönlich an. Hilfreich ist natürlich, dass Helmut Schmidt als Verteidigungsexperte der SPD exzellente Kontakte hat.

Dabei handelt Schmidt nicht nur entschlossen, sondern auch verfassungswidrig. Es ist der Bundeswehr laut Grundgesetz damals verboten, im Inland zu operieren. Schmidt erinnerte sich in den 80er Jahren: „Wir haben uns nicht an Gesetz und Vorschriften gehalten, wir haben möglicherweise die Hamburger Verfassung verletzt, wir haben sicherlich am Grundgesetz vorbei operiert. Es war ein übergesetzlicher Notstand.“

Übrigens: Wer mehr über Helmut Schmidt erfahren möchte, sollte dem Wohnhaus von ihm und seiner Ehefrau einen Besuch abstatten.

Das Arbeitszimmer von Helmut Schmidt kann man heute besichtigen, Anmeldungen über die Stiftung des ehemaligen Bundeskanzlers

Am 19. Februar schließlich stellt das Einsatzkommando fest, dass die akute Notlage gebannt ist. Nur wenige Tage später, am 26. Februar versammeln sich mehr als 100.000 Hamburger auf dem Rathausplatz, um der Toten zu gedenken.

Fatal: Als diese Flut über Hamburg hereinbricht, gilt in der Hansestadt noch die Deichordnung von 1825. Die Stadt hatte geplant, die Deiche ab 1963 auf 6,50 Meter über Normalnull zu erhöhen. Ein Jahr zu spät.

Blick auf den Pegelstand der Sturmflut von 1962

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