Wegen geschlossener Museen ganz auf Kunst verzichten? Undenkbar! Die Lockdown-Spaziergänge laden doch gerade dazu ein, die vielen wunderbaren und dabei ganz unterschiedlichen Kunstwerke im öffentlichen Raum zu entdecken.
Fast schon ein Sinnbild dafür könnte der Unbekannte sein, der aus dem neuen Stencil Graffiti eines unbekannten Künstlers aus der Fassade der leider geschlossenen Hamburger Kunsthalle steigt: „Maske auf, raus und los auf Entdeckungstour!“ Hier ein paar Entdeckungen, die Lust auf mehr machen…
Das von der Hamburger Kunsthalle angebrachte Messingschild mit der Aufschrift „Anonym, Ohne Titel, 2020, Hamburger Kunsthalle, Eigentum der Öffentlichkeit“ haben allerdings zwischenzeitlich Unbekannte in ihren Privatbesitz überführt… Zumindest gibt es auf Instagram unter @neal_hamburg einen möglichen Hinweis auf den Urheber des Kunstwerks. Dieses Kunstwerk ist zwar nicht Teil der explizit als „Kunst im öffentlichen Raum“ geförderten Werke, ist aber trotzdem Kunst im öffentlichen Raum. Es ist sozusagen eine zeitgenössische Interpretation des Trompe-l’Œil Flucht vor der Kritik (1874) von Pere Borell del Caso, das 2010 im Bucerius Kunst Forum zu sehen war.
Hamburgisch maritim
Ganz in der Nähe, vor der Heiligen Dreieinigkeitskirche in St. Georg, hat der Bildhauer Horst Hellinger 1986 einen von der Straße abgesetzten Platz mit dem begehbaren Kunstwerk Schiffsbleche geschaffen. Aus dem leicht abgeschrägten Sockel ragen rund zweieinhalb Meter hohe Stahlbleche in die Höhe. Sie stammen von – im Hamburger Hafen – abgewrackten Schiffen. Ihre leichte Krümmung erinnert an Schiffsrümpfe. Das Kunstwerk ist ein Symbol für den Niedergang der einst blühenden Werftindustrie in Hamburg. Ganz passend dazu nagt mit dem Rost auch der Zahn der Zeit an den mittlerweile mit Graffiti besprühten Blechen.
Erst beim Durchgehen zwischen den Platten spürt man die Kraft und Poesie dieser Formation. Man wird belohnt mit wechselnden Perspektiven und Ausblicken auf die Umgebung und kann sogar die sanfte Schwingung der massiven Bleche im Wind erahnen. Tatsächlich viel Gegenwind schlug dem Kunstwerk über viele Jahre von den Anwohnern entgegen. Im Jahr 2004 wurde sogar eine Verlegung an den Hafen diskutiert, dann aber wieder verworfen. Zuerst erstaunt der Kontrast zur Kirche. Aber ist das Schiff nicht auch schon ein sehr altes Symbol für die Kirche? So gesehen passt es dann doch.
Neben Hellingers Installation prägen drei weitere Kunstwerke den Platz rund um die Kirche: die 2006 aufgestellte Bronze-Replik des mittelalterlichen Kalvarienbergs (Kreuzigungsgruppe) auf den original Granitstehlen, das Pflastersteinkreuz Namen und Steine (1994) von Tom Fecht zur Erinnerung an die Aidsverstorbenen sowie die bronzene Reiterstatue des Drachentöters St. Georg (1959) von Gerhard Marcks.
Wenige Gehminuten entfernt findet man vor den Deichtorhallen Hamburg zwei weitere rostrote Stahlskulpturen. Die Deichtor-Ringe (1989) der Körber-Stiftung fallen einem sofort ins Auge, wenn man vom Hauptbahnhof oder der HafenCity aus zu den Deichtorhallen kommt. Blickt man über den Vorplatz, entdeckt man auf der gegenüberliegenden Seite vor den Bahngleisen die großformatige Stahlplastik T.U.W. (engl.: Trade Workers Union) (1980) von Richard Serra, einem der bedeutendsten lebenden US-amerikanischen Bildhauer.
Sein Kunstwerk ist faszinierender Minimalismus im Großformat: Drei hochkant aufgestellte Platten aus Cortenstahl, jeweils knapp elf Meter hoch, über dreieinhalb Meter breit und sieben Zentimeter stark, halten sich mit einer leichten Neigung gegenseitig in einem spannungsvollen Gleichgewicht. Trotz ihrer tonnenschweren Massivität strahlt die Skulptur mit ihrer Kombination aus Stahl und Zwischenräumen eine gewisse Leichtigkeit aus.
Um das Kunstwerk zu erfassen, muss man es von allen Seiten erkunden. Unweigerlich stellt man sich dabei die Frage, ob die Platten auch wirklich stabil stehen. Ja, das tun sie – bereits seit 1989 und davor schon in New York. Eine Interpretation seiner Arbeit gibt Serra nicht vor, vielmehr will er uns herausfordern, Perspektivwechsel zuzulassen und auf uns wirken zu lassen. Um „neue Wege des Sehens“, wie Serra es formuliert, geht es letztlich auch in den Deichtorhallen. Wunderbar, dass dieses Kunstwerk 1989 von New York nach Hamburg umgezogen ist.
Einfach großartig
Den Blick nach oben richten muss man definitiv auch bei den beiden Figuren Mann und Frau (2004) von Stephan Balkenhol. Rund fünf Meter ragen die Bronzeskulpturen des wohl bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Bildhauers vor der Hamburger Zentralbibliothek am Hühnerposten in die Höhe und nehmen mit ihrer beeindruckenden Körperlichkeit den gesamten Platz ein.
In ihrer alltäglichen Erhabenheit strahlen sie eine unglaubliche Ruhe aus. Ihre Blicke richten sie gleichmütig hoch über den Betrachter hinweg in weite Ferne und wirken dadurch unnahbar. Vielleicht mag man ihnen ja gerade deshalb näher kommen, um sie zu ‚erfassen‘ – über die Textur ihrer Oberfläche oder um den Blick an den endlos wirkenden Beinen nach oben zu schweifen zu lassen. Auch der Mann und die Frau wirken distanziert, schauen sie doch in unterschiedliche Richtungen.
Der Mann ist ein typischer Balkenhol-Mann, ein „Jedermann“ in weißem Hemd und schwarzer Hose, wie seine Vier Männer auf Bojen (1993, 2020 teilweise erneuert), die auf der Alster, an der Süderelbe, in Övelgönne und in Bergedorf auf Bojen im Wasser stehen. Seine acht Meter hohe Bronzeskulptur Giraffe mit Mann (2001) vor dem Tierpark Hagenbek ist sicherlich eine der bekanntesten und beliebtesten Skulpturen Hamburgs. Nachdem der im Laufe der Jahre nachgedunkelte Hautton dem Mann ein afrikanisches Aussehen gibt, hat sie allerdings zu einer Rassismus-Diskussion geführt.
Buchstäblich großartige Kunst findet man auch an Orten, an denen man dies nicht unbedingt erwartet. Zum Beispiel vor dem Alstertal-Einkaufszentrum, das mit seinen über 240 Geschäften allgemein für großartiges Shopping bekannt ist. Die drei Figuren der in Bronze gegossenen Dreiergruppe des Mimir-Brunnens (2006) des deutsch-kanadischen Künstlers Zoyt sind mit ihren acht Metern Höhe sogar noch deutlich größer als Balkenhols Mann und Frau. Nachdem Zoyt zwei Jahre zuvor den Wettbewerb „Kunst am Bau“ gewonnen hatte, errichtete er 2006 seine bislang größte Skulptur vor dem damals frisch eingeweihten Erweiterungsbau des Alstertal-Einkaufszentrums.
Durch ihre enorme Höhe und den in die Länge gezogenen Proportionen wirken die Figuren phantastisch entrückt, passend zum mythischen Titel des Kunstwerks. In der nordischen Mythologie ist der Mimir-Brunnen die Quelle des Wissens und der Weisheit, der von dem Riesen Mimir gehütet wird. Der Göttervater Odin musste eines seiner Augen als Pfand im Wasser hinterlegen, um daraus trinken zu dürfen und die Gabe des Hellsehens zu erlangen. Der Brunnen mag nicht die Quelle der Weisheit sein, ist aber auf jeden Fall eine inspirierende Kunstquelle und einen Ausflug nach Poppenbüttel wert. Vom Alstertal-Einkaufszentrum sind es übrigens nur ein paar Schritte zum wunderschönen Alsterlauf.
Deutlich politisch
Direkt zur Diskussion und kritischem Nachdenken fordert uns der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka mit seinem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus, das er als Gegendenkmal dem monolithischen kriegsverherrlichenden 76er-Denkmal (1936) von Richard Emil Kuöhl entgegensetzt. Mit emotionaler Wucht zeigt Hrdlicka schonungslos das Leid und Schrecken des Krieges.
Eine Skulptur, zwei Teile
Genau vierzig Jahre nach Kriegsende wurde der erste Teil, Hamburger Feuersturm, am 8. Mai 1985, aufgestellt. Hdrlicka zeigt vor einer als Ruine aufragenden Bronzewand schreiende und verbrennende Menschen, die Opfer des Bombenhagels wurden. Die britischen Bombenangriffe haben Hamburg in einem bis dahin nicht vorstellbaren Ausmaß getroffen und 40.000 Menschen getötet.
Der zweite Teil Untergang von KZ-Häftlingen (1986) zeigt die in einem Marmorblock auf einem Granitsockel eingemeißelten Köper von Ertrinkenden. Sie sollen an die mehr als 7.000 KZ-Flüchtlinge erinnern, die drei Tage vor Kriegsende bei einem britischen Bombenangriff auf den ehemaligen Passagierdampfer „Cap Arcona“ ums Leben kamen. Die Nazis hatten sie aus dem KZ Neuengamme vor den Toren Hamburgs in Gewaltmärschen zur Lübecker Bucht gebracht und dort auf die “Cap Arcona” und weitere Schiffe getrieben.
Zwei weitere geplante Teile des Denkmals – Soldatentod und Frauen im Faschismus – wurden aus Kostengründen nicht realisiert und damit auch nicht die ursprünglich geplante Konzeption als zerborstenes Hakenkreuz.
Seit 2015 steht zwischen dem 76-er Denkmal und dem Hrdlickas Gegendenkmal das Deserteurdenkmal von Volker Lang, einem Gedenkort für die über 300 Deserteure und sonstigen Opfer der Wehrmachtsjustiz in Hamburg.
Still verträumt
Nur wenige Schritte entfernt schafft die Liegende (1976) von Edgar Augustin eine stille Oase inmitten des Verkehrs. Die lebensgroße Bronzefigur des liegenden Frauenaktes beim Sonnenbad am Stephansplatz schafft eine perfekte Überleitung zur dahinterliegenden Parkanlage Planten un Blomen. Eine weitere seiner Skulpturen, Zwei Rugby-Spieler, befindet sich im Gustav-Mahler-Park, direkt hinter dem gegenüberliegenden Casino Esplanade.
40 Skulpturen von Fritz Fleer
Am Fuße der Kennedybrücke steht die Bronzeskulptur Jüngling mit Möwe (1955) von Fritz Fleer, einem der erfolgreichsten Hamburger Bildhauer seiner Zeit. Unbeirrt vom Verkehr auf der Brücke und den Baustellen auf beiden Brücken hält die Figur ganz in Ruhe eine Möwe dem Hamburger Himmel.
Viele der knapp 40 Skulpturen, die Fleer in Hamburg geschaffen hat, prägen bis heute das Stadtbild, wie die Skulpturen Großer Speerträger (1956) vor den Grindelhochhäusern oder Großer Stehender (1966), vor Polizeikommissariat 42, Hamburg-Billstedt. Seine Werke finden sich auch in zahlreichen Kirchen. In den 1960er-Jahren hat Fleer auch das bronzene Südportal an der Hauptkirche St. Katharinen gestaltet.
Die kleine Auswahl zeigt, wie KUNSTvoll Hamburgs öffentlicher Raum ist. Viel Spaß beim Entdecken! Wer weitere Inspirationen sucht, findet zu vielen Kunstwerken in Hamburg und Schleswig-Holstein und deren Künstler*innen Informationen unter http://www.sh-kunst.de.
Was ist Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg?
Mit dem Programm „Kunst im öffentlichen Raum” wurde in Hamburg 1981 die noch heute in vielen Kommunen, Ländern und beim Bund praktizierte „Kunst am Bau” abgelöst. Die Weiterentwicklung zu einer kunstsachverständig verantworteten und besonders durch Aufhebung der Zwangsbindung an Neubauvorhaben viel freier und vielseitiger auszugestaltende „Kunst im öffentlichen Raum” seit Hamburg 1981 war daher ein wichtiger und konsequenter Schritt.
Eine besondere Bedeutung erhält das Hamburger Programm durch seinen experimentellen Anspruch, das eigene Verständnis dessen, was unter öffentlichem Raum und Kunst im öffentlichen Raum zu verstehen ist, kontinuierlich zu hinterfragen und durch entsprechende Projekte zu erweitern. Eine kompetente Kunstkommission berät die Kulturbehörde bei Schwerpunktsetzungen und empfiehlt konkrete Projektvorschläge zur Realisation. Ein wesentliches Charakteristikum des Hamburger Programms ist die Kontext- und Ortsbezogenheit der Projekte, die immer für eine spezifische, meist durch den Künstler selbstgewählte städtische Situation konzipiert und realisiert werden. Grundsätzlich werden keine Atelierarbeiten angekauft.
Text und Fotos: Petra Bassen
Als Kommunikationsprofi mit langjähriger Erfahrung in der Unternehmenskommunikation liebt Petra Bassen es, Menschen mit ihren Texten, Fotos und ihrer Malerei zu inspirieren. Ursprünglich aus Süddeutschland ist Hamburg seit fast zwanzig Jahren ihre Heimat und begeistert sie immer wieder aufs Neue. Die Leidenschaft für Kunst und Fotografie begleiten sie bereits ihr gesamtes Leben. Hamburg, Fotografie und Kunst finden auch auf ihrem Instagram-Profil @impressive_hamburg zusammen. Ihre Acrylbilder sind käuflich zu erwerben. Kontakt: impressive_hh@gmx.de