Crashkurs: “FEMME FATALE. BLICK – MACHT – GENDER”

Das Weib lockt, rockt und schockt in der Hamburger Kunsthalle bis April 2023.

Das Antlitz der Frau von der Romantik bis zur Gegenwart. So wäre die Ausstellung vor einiger Zeit wahrscheinlich noch benannt worden. Doch Alexander Klar und das Team um Dr. Markus Bertsch, Sylvie Göktepe, Ruth Stamm und der Vermittlerin Dr. Anja Weniger haben sich für ein anderes Ausstellungsprojekt entschieden – und das ist für den Kulturstandort Hamburg ein echtes Highlight.

Bei der Eröffnung wies Alexander Klar darauf hin, dass es sich bei Femme Fatale nicht wirklich um eine Familienausstellung handele. Auch wenn seine Söhne klar erkannt haben, dass ja nicht nur „nackte Mörderinnen” in der Ausstellung hängen. 

Das Bild der lieblichen, Laute spielenden „Loreley” von Carl Joseph Begas ist eines der Eröffnungsbilder der Schau.
In bewussten Kontrast dazu stellte das Team eine moderne Video-Interpretation einer Frau, die sich ihrer schönen Haarpracht entledigt.

Spannungsreiche Begegnungen der fatalen Art im Chat

Gustave Moreau – Ödipus und die Sphinx 1864

Besonders spannungsreich wird die Ausstellung in der Kunsthalle nicht zuletzt dadurch, dass sie die Femme Fatale in verschiedenen Epochen zeigt. So wurde sie in der klassischen Malerei des viktorianischen Zeitalters vielfach von den Präraffaeliten dargestellt, einer Künstlergruppe um Dante Gabriel Rossetti.
Sinnlich, erotisch, begehrenswert und vor allem mythologisch aufgewertet, bedienten sich die Präraffaeliten biblischer und literarischer Vorlagen, um ihre Gemälde zu gestalten.
In Darstellung, Komposition und technische Umsetzung entstanden so Bilder, die vor allem die Stereotypen der damaligen Zeit bedienten.
Fasziniert von der Technik und artifiziellen Ausarbeitung betrachtet man beispielsweise die „Helena von Troja” (1863) von Rossetti (1828-1882) und deren Hautstruktur und Haarpracht.

Dank des Kunsthallen-Teams und deren Sponsoren können wir nun mit eben dieser Frau chatten und sie zu Paris, Menelaos oder eben ihrem Verhältnis zu Männern befragen. Eine schöne Idee, die auch bei weiteren fünf Bildern aus verschiedenen Epochen dank künstlicher Intelligenz à la Watson funktioniert.

In der Galerie der Gegenwart beginnt die Zukunft, wie der Aufschrift am Türportal zu entnehmen ist.
„Femme Fatale Blick-Macht-Gender“ zeigt in der zweiten Etage mehr nackte Haut als auf der Reeperbahn zu sehen ist.
Die teilweise sinnlichen, sexualisierten weiblichen Darstellungen in den Bildinhalten wurden im sinnvollen Kontext zueinander gehängt.

Eine Ausstellung mit Mut zum Diskurs

Zeitgenössische Bildbetrachtung und ein gutes Begleitprogramm durch Dr. Anja Weniger flankieren die Ausstellungen. Nicht nur das kleine grüne Magazin, das ebenso wie das Glossar zusammen mit der Missy Redaktion entstanden sind, ist Bestandteil, auch der „SalonFatal” jeden vierten Donnerstag des Monats gehört zum Ausstellungsereignis.
Hier geben die Autoren gute Impulse, um sich den Bildern mit kritischem Blick zu nähern. 
Im „SalonFatal” im Stile der etablierten Wohnzimmergespräche aus dem vergangenen Jahrhundert führen Kunstvermittler*innen mit Lesungen, Performances, Konzerten oder Workshops interdisziplinär vermittelnd durch die Ausstellung. (22. Dezember 2022, 26. Januar, 23. Februar, 23. März 2023.)

Gesellschaftliche Umbrüche sind durch die verschiedenen Epochen gut dokumentiert. „Femme Fatale” ist die richtige Ausstellung zur richtigen Zeit und prägt mit ihrem Mut, ein „heißes Eisen” anzufassen, unsere Museums- und Kulturlandschaft. Eine Ausstellung wie diese ist ein guter Reiseanlass, ob aus Harburg, Blankenese oder München.

Den Impuls für die Ausstellung gab die interne Diskussion um die 50 Quadratmeter Bildfläche von Hans Makarts „Der Einzug Karls V. in Antwerpen” (1878), denn hier werden die sogenannten „Ehrenjungfern”, nackte attraktive Damen, die den Kaiser umringen, dargestellt.
Der voyeuristische Blick gehört zur Kunstgeschichte, der Umgang damit muss neu verhandelt werden.
Abhängen und im Depot verschwinden lassen, war keine Option für die Hamburger Kunsthalle, die sich lieber dem Diskurs stellt.
Die sogenannte freie Handelsstadt Hamburg und ihre Bürger und Besucher können ihren Beitrag dazu leisten, sich an der Diskussion um Blick-Macht-Gender zu beteiligen.

Lovis Corinth – Salome 1900

Ganz ohne Diskussion lohnt sich der Besuch der Ausstellung für alle Kunstinteressierten aber auch. Denn selten gezeigte Bilder von Gustave Moreau, die Videoarbeiten von Valie Export aus den 1960er-Jahren oder Marie Lassnigs „Women Power“ sind einen ausführlichen Blick wert.
Das gilt auch für „Circe offering the cup to Ulysses“ von John William Waterhouse mit seinen vielen versteckten Symbolen, für deren Entdeckung man Zeit mitbringen sollte. Dieses Gemälde von 1891 ist auch gleichzeitig das Plakatmotiv der Ausstellung.

Wir dürfen uns hier in Hamburg freuen, dass eine solche Ausstellung in Breite und Tiefe der Exponate realisiert werden konnte.
In anderen Erdteilen wären diese Schau und Hängung nicht möglich, so der einheitliche Tenor der Macher. „Wir wollen uns der Debatte stellen, dem Stier das rote Tuch zeigen”, sagte Alexander Klar dazu in der Eröffnungsrede.

John Collier – Lillith 1892

Auf den Crashkurs „Femme Fatale” kann man sich noch bis zum 10. April 2023 einlassen.
Die 14/8 € (Kinder frei) sind gut investiert.
Wer nach der Ausstellung noch mehr Lust auf Kultur hat: Die Pop-up-Galerie Jupiter im ehemaligen Karstadt-Sporthaus ist nur einen Katzensprung entfernt – und mit dem Ticket der Kunsthalle kostenlos zu besuchen.

FEMME FATALE. BLICK – MACHT – GENDER
Hamburger Kunsthalle
2. OG der Galerie der Gegenwart (Haspa-Galerie)
Glockengießerwall 5

Öffnungszeiten:
dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr
donnerstags 10 bis 21 Uhr
bis 10. April 2023

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