Wilhelmsburg – Der Stadtteil mit dem schlechten Ruf

 Nirgendwo ist Hamburg mehr multikulti als in Wilhelmsburg: Von den rund 50.000 Einwohnern haben fast 35 Prozent einen ausländischen Pass, 55 Prozent einen Migrationshintergrund, 38 Prozent der Einwohner leben in Sozialwohnungen. Es gibt überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger und überdurchschnittlich viele junge Leute. Für viele Hamburger ist die große Insel zwischen Norder- und Süderelbe gefühlt aber weit weg, gar nicht richtig Hamburg, obwohl die S-Bahn von Wilhelmsburg zum Hauptbahnhof nur 8 Minuten unterwegs ist. Zudem verbindet sich der Name am häufigsten mit Hafen und Industrie, also eher ein Stadtteil, der einen Besuch nicht lohnt. Das war auch richtig. Insbesondere chemische und Metall verarbeitende Betriebe siedelten sich Ende des 19. Jahrhunderts an, so dass ein starker Anstieg der Emissionen zu beklagen war. Nach den Zerstörungen während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg entstanden großflächige Standorte für Raffinerien oder das Logistik-Gewerbe. Einen Rückschlag erlebte Wilhelmsburg nicht nur durch die Katastrophe der Flut vom Februar 1962, bei der nach schweren Deichbrüchen die ganze Elbinsel überschwemmt wurde, sondern fast noch mehr durch die politische Zielsetzung, den Westen ausschließlich der industriellen Entwicklung vorzubehalten. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt hier natürlich auch
Doch das Bild der Elbinsel verändert sich. Sie ist Schauplatz eines ehrgeizigen Stadtentwicklungsprozesses. Ansätze dazu kamen erstmals bei dem gescheiterten Konzept für die Bewerbung der Olympischen Sommerspiele 2012. Erfolgreicher waren die Bewerbungen um die Internationale Bauausstellung und die Internationale Gartenschau im vergangenen Jahr. Mit Investitionen in Schulen, subventionierten Mieten für Studenten, Wiederbelebung der Kanäle und der Flächen am Reiherstieg setzte die Stadt ein Zeichen für die künftige Stadtentwicklung. Sie verwandeln den Stadtteil – nicht immer zum Besten, wie zahlreiche Einwohner und Bürgerinitiativen meinen. Endhaltestelle der „Wilden 13“ in Kirchdorf-Süd
Wer sich das einmal anschauen möchte, kann das am Besten mit dem Fahrrad – oder mit dem Metrobus 13 tun: Ohne die „Wilde 13“ – wie Bewohner der Hamburger Elbinsel sie nennen – geht in Wilhelmsburg gar nichts. Von früh am Morgen bis spät in die Nacht pendelt die Metrobus–Linie zwischen dem S-Bahnhof Veddel und Kirchdorf-Süd – bringt Kinder zur Schule, Schichtarbeiter zur Arbeit, Kunden zum Wochenmarkt. In der 13 treffen Menschen aus vielen unterschiedlichen Kulturen aufeinander. Das birgt manchmal Konflikte, ist aber gleichzeitig auch sehr spannend, ein idealer Weg, Wilhelmsburg zu entdecken und einen Eindruck davon zu bekommen, wie sehr sich der Stadtteil gerade verändert. Wer mag, kann im Reiherstiegviertel aussteigen, das Quartier, das in den Medien bereits als das kommende Szeneviertel Hamburgs gehandelt wird, über den Markt bummeln oder einen Abstecher zum Energiebunker machen.
Ist ja eigentlich doch nicht so weit weg – dieses Wilhelmsburg.  Sogar ein Buch ist über die Buslinie erschienen: Kerstin Schäfer ist Kultur-anthropologin und lebt selbst im Reiherstiegviertel. Für ihr Buch ist sie manchmal vier Stunden täglich in der 13 gefahren, hat die Fahrgäste und ihre Gewohnheiten studiert. Die Wilde 13 – Durch Raum und Zeit in Hamburg-Wilhelmsburg.
173 Seiten mit zahlreichen Fotos, 12 Euro

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