Die deutsche Brauindustrie schaut seit einigen Jahren etwas besorgt auf den Absatz: Lag der jährliche Pro-Kopf-Konsum der deutschen Mitte der 70er Jahre im Schnitt bei 170 Litern, sind es heute nicht einmal mehr 107 Liter, der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung.
Doch etwas ist in Bewegung geraten. Seit einigen Jahren rollt sie nun auch in der Hansestadt, etwas verzögert vielleicht, doch alles andere als zaghaft, sondern witzig, einfallsreich und engagiert: die Craft-Beer-Welle.
Craft Beer? Der Ausdruck „Craft Beer“, beziehungsweise „Craft Bier“, ist kein geschützter Begriff und entsprechend schwer ist es, ihn zu definieren. Am nächsten kommt man der Sache vielleicht, wenn man Craft Beer als ein Bier beschreibt, das in überschaubaren Mengen von kleinen, teilweise sehr kleinen, unabhängigen Brauereien gebraut wird, hinter denen meist junge, idealistische Bierverrückte stehen, die alte Rezepturen ausgraben, Neues ausprobieren und so für mehr Biervielfalt sorgen. Soweit zumindest die romantische Version vom unkonventionellen Bier-Startup in der ehemaligen Fabrikanlage. Zurück geht die Idee auf einen Briten, popularisiert wurde sie aber in den USA.
Typisch für Craft Biere: mit kreativen Zutaten, innovativen Brau- und Lagerverfahren werden aromatische, oft unkonventionelle Biere gebraut – nicht selten mit Zutaten wie Früchten, Gewürzen, Spezialmalzen oder ungewöhnlichem Aromahopfen. Sie lassen ihre Gebräue auch mal im Bariquefass oder der Flasche gären.
Die meisten der jungen Kreativbrauereien finden sich in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Hamburg tut sich einiges.
Eine der ersten waren Oliver Wesseloh und Friedrich Matthies mit der Kreativ-Brauerei Kehrwieder. Gemeinsam begannen sie bei einer dänischen Privatbrauerei und in Hagen, ihr erstes Bier mit dem passenden Namen Prototyp einzubrauen. Wie andere Kreativbrauer verzichten auch Wesseloh und Matthies darauf, ihre Biere zu filtern und zu pasteurisieren, weil dies den individuellen Geschmack zerstöre.
Typisch sind Standortprobleme, wie sie auch Braumeister Dirk Paul hat. Der 39-Jährige hat eine halb fertige Brauanlage in einer Altonaer Garage stehen, weiß aber nicht, wo er diese dauerhaft installieren könnte. Und so braut auch Paul sein nach ihm benanntes Pils Elbpaul bei einem größeren Unternehmen in der Nähe von Hamburg.
Keine Standortprobleme hingegen hat das direkt an den St. Pauli Landungsbrücken gebraute BLOCKBRÄU. Rund viermal in der Woche werden etwa 2.200 Liter direkt im Brauhaus gesiedet, die zwei Sudkessel und der Whirlpool stehen auf der Galerie im Gastraum.
Allerdings haben auch einige größere Brauereien den Trend erkannt und eigene Craft-Bier-Marken kreiert, häufig unabhängig vom Stammhaus, doch mit entsprechendem Know-how und Kapital im Rücken. So lässt die dänische Carlsberg Brauerei auf dem Gelände der Hamburger Tochter Holsten saisonale Sorten wie Märzen-, Sommer- oder Erntebier in Kleinstmengen herstellen. Die ersten, die in Deutschland jedoch den Begriff “Craft Beer” als Marketingkonzept einführten, waren die Macher der 2012 wiederbelebten Hamburger Marke Ratsherrn. Am Standort im szenigen Schanzenviertel setzt Ratsherrn deutliche Akzente mit den Craft Beer Days und der Braugaststätte „Altes Mädchen“ in den historischen Viehhallen.
Jede Menge Neugründungen also, die auf Geschmack, Rohstoffe und Vielfalt setzen: Noch sind Hopfen und Malz offenbar nicht verloren.