Kaum zu glauben, aber das Verlagsgebäude von G + J ist ebenfalls ein Denkmal. ©Gruner + Jahr

Am 12. September ist bundesweit – und natürlich auch in Hamburg – Tag des offenen Denkmals. Wir sprachen über den Stellenwert von Denkmälern mit Dr. Anna Joss, Leiterin des Denkmalschutzamtes und Irina von Jagow, Geschäftsführerin der Stiftung Denkmalpflege.

In diesem Jahr steht dieser Tag unter dem Motto „Sein und Schein in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege. Was verbinden Sie persönlich mit diesem Motto?

Anna Joss: Mich begeistert das Unscheinbare oft mehr als der Schein: Die Schönheit gut gemachter Details und solides Handwerk. Zur überlieferten Baukultur Hamburgs gehört ja auch weniger die „vorgetäuschte“ Architektur wie die einer barocken Decke, sondern das gekonnte Farbenspiel einer Klinkerfassade oder ein gut gemachtes Reetdach.

Irina von Jagow: Sein und Schein ist eines der interessantesten Themen der Kunst- und Kulturgeschichte: Von den Scheintüren in den Pharaonengräbern zum Spiel mit Illusionen im Barock und zum Surrealismus begegnet man ihm immer wieder. Mein Hamburger Beispiel ist aber handfester: Die Speicherstadt, die modernste Lagertechnik mit dem Erscheinungsbild einer historischen Hansestadt verbindet und ja tatsächlich ein Stadtviertel aus der Zeit des Barock ersetzte. Dessen Spolien, die schönsten Portale und Bauplastik findet man übrigens an vielen Hamburger Kaufmannshäusern und am Museum für Hamburgische Geschichte verbaut wieder.

Gleichzeitig markiert dieser Tag auch 100 Jahre Denkmalschutz in Hamburg. Was wurde erreicht, wo gibt es noch viel zu tun?

Anna Joss: Hamburg kann stolz sein auf seine vielfältigen Denkmäler und es gilt diese Vielfalt zu pflegen und zu erhalten. Der Wert der jungen Baukultur ist jedoch noch nicht im Bewusstsein aller angekommen. Daher ist es mir wichtig, sie in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Das funktioniert am besten, wenn man die Gebäude den Menschen wortwörtlich näherbringt. Gebäude zu begehen und auch zu entdecken, was es im Inneren zu sehen gibt. Welche Überlegungen des Architekten flossen mit ein, was hat sich der Bauherr damals gedacht. Dies möchten wir vermitteln. Der Tag des offenen Denkmals bietet hier eine wunderbare Gelegenheit. Nicht nur die Architektur aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern vor allem auch die Gebäude aus den 1970er, 1980er und 1990er Jahren. Um diese Zeitschicht zu sichern, haben wir ein großangelegtes Inventarisationsprojekts aufgesetzt. Derzeit prüft das Denkmalschutzamt 730 Objekte aus der Zeit von 1975 bis 1995, um zu untersuchen, welche davon Denkmale sind.

Irina von Jagow: Die Stiftung Denkmalpflege Hamburg besteht seit 40 Jahren und hat in dieser Zeit die staatliche Denkmalpflege begleitet und Restaurierung und Rettung der Hamburger Bau- und Gartendenkmäler mit Millionenbeträgen gefördert. Einen Schwerpunkt über die Jahre hat die Rettung der schönen großen Höfe im Alten Land und in den Vierlanden gespielt, ein weiterer Schwerpunkt war die großartige Kunstausstattung der Hamburger Schulen in der Zwischenkriegszeit und seit über 20 Jahren betreuen wir den jüdischen Friedhof Königstraße, der nahezu vergessen und verfallen war.

Unbekanntes Kleinod: das Maler- und Lackierermuseum im Billwerder Glockenhaus. ©Maja Kunze

Welche Highlights erwarten den Besucher beim Denkmals-Tag in diesem Jahr? Welche Baudenkmäler sind für die Öffentlichkeit zugänglich, die es sonst nicht sind?

Anna Joss: Ganz besonders freue ich mich, dass wir zusammen mit der Stiftung Denkmalpflege Hamburg anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Denkmalschutzgesetz für Hamburg“ die ganze Denkmalvielfalt Hamburgs zeigen können. Von den ersten unter Schutz gestellten Denkmälern in den Vier- und Marschlanden bis hin zu jungen Denkmälern wie dem 1987-90 errichteten Verlagshaus Gruner + Jahr oder dem 1978-80 errichteten Hanseviertel. Beides sind herausragende Beispiele für postmoderne Architektur. Zu ganz unterschiedlichen Denkmälern stehen die Türen offen und die Besucherinnen und Besucher sind herzlich eingeladen diese z.B. bei Führungen zu entdecken.   

Irina von Jagow: Ein wenig bekanntes Highlight ist das Maler- und Lackierermuseum, in dem man noch die alte Landhauskultur an der Bille erleben kann. Einen Besuch lohnt auch das Dehmelhaus in Blankenese, das die Freunde des Dichters für ihn und seine Frau Ida, die Gründerin der GEDOK errichten ließen. Er selber plante den Bau mit dem Architekten Baedeker und entwarf die Ausstattung. Das Künstlerhaus Maetzel in Volksdorf führt in die Lebenswelt eines Ehepaars bildender Künstler. Mitten auf St. Pauli und vielen Nachtschwärmern von außen bekannt ist das Haus der Heilsarmee erstmals zu besichtigen.

Wenn ich als Neu-Hamburger oder Tourist auf Denkmaltour gehen möchte: Welche Baudenkmäler sollte ich unbedingt besichtigen?

Anna Joss: Um ein Gefühl für die Baukultur der Stadt zu bekommen empfiehlt sich ein Spaziergang entlang der denkmalgeschützten Landungsbrücken inklusive Altem Elbtunnel, ein Besuch des Welterbes Kontorhausviertel und Speicherstadt und ein Spaziergang durch das wunderschöne Gartendenkmal Planten un Blomen . Zu Planten un Blomen  und weiteren Hamburger Denkmalhighlights gibt es auch Podcastfolgen von „Denkmal im Wandern“, eine Kooperation zwischen Denkmalschutzamt und Denkmalverein. Die Zuhörerinnen und Zuhörer haben so die Möglichkeit die Denkmäler auf eigene Faust zu entdecken.

Irina von Jagow: Allen Neu-Hamburgern, aber auch den Alt-Hamburgern sei der Sprung über die Elbe empfohlen: Harburg stellt ein spannendes Programm rund um seinen noch weitgehend erhaltenen Binnenhafen zusammen. Hamburger Gäste können Hamburg auf dem Wasser bei Fahrten mit historischen Schiffen auf Alster und Elbe erleben. Außerdem sind wohl nirgends so viele „bewegliche Denkmäler“ zuhause, die besichtigt werden können oder Mitfahrten anbieten.

Gibt es einen Denkmal-Geheimtipp, den Sie mit unseren Lesern teilen können?

Anna Joss: Vielleicht nicht unbedingt ein Geheimtipp, aber auch kein Denkmal, an das man zuerst denkt: Ein Spaziergang durch das Denkmalschutz-Ensemble City Nord. Hier schwingt Utopisches und die freudige Erwartung an die Zukunft mit.

Irina von Jagow: Immer noch ein Geheimtipp ist der Hamburger Architekt der Moderne Karl Schneider, dessen Wirken fachkundig von der Schneider Gesellschaft präsentiert wird am Beispiel der Burmeister-Häuser in Winterhude. Tipp Nr. 2 ist das Christianeum, das vor 500 Jahren in Altona gegründet wurde und vor 50 Jahren einen spektakulären Neubau des dänischen Architekten Arne Jacobsen erhielt. Und wer noch etwas Besonderes erleben will, sei auf unser Kulturprogramm mit Konzerten und Events in Baudenkmälern und die Denkmaltagradtour mit Überraschungsprogramm hingewiesen.

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