© Jerzy Pruski
Es gibt Menschen, die haben nicht nur einen Beruf ergriffen um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sie beschäftigen sich mit Dingen, die sie wirklich interessieren, sie üben einen Beruf aus, der noch an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Berufung anknüpft. Was das ist hat keinerlei Bedeutung. So saß ich einmal auf einer Pressekonferenz eines Museums, es ging um eine Ausstellungseröffnung mit chinesischem Porzellan. Nun gibt es vordergründig kaum Dinge die mich weniger interessieren als Porzellan, egal woher es kommt. Aber dann stellte der Kurator die Ausstellungsobjekte vor, erzählte über Herstellungsprozesse, geschichtliche Hintergründe und Menschen – und das ganze so anschaulich und schwärmerisch, dass er mich mit seiner Begeisterung ansteckte. Man merkte ihm an, dass er das was er da tat, sehr liebte und von der Schönheit der Objekte zutiefst überzeugt war.
Anfang Juli habe ich wieder so einen Menschen kennengelernt. Jens Pradel ist Tierpfleger im Wildpark Lüneburger Heide, einem der größten Tierparks Deutschlands. Hier leben fast alle in Deutschland vorkommenden Wildtierarten und auch Tiere aus den nördlichen Breiten Asiens und Nordamerikas. Jens ist zuständig für die Raubtiere. Das beginnt mit den Dachsen, Waschbären und Vielfraßen, geht über Polarfüchse, Schneeleoparden und Wölfe bis zu den Kamtschatkabären und Sibirischen Tigern. Er kümmert sich um die Sauberkeit der Gehege, um die Pflege, Haltung und Versorgung, stellt Krankheitsanzeichen fest und versorgt trächtige und neugeborene Tiere.
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Unser Rundgang beginnt bei den Sibirischen Tigern, die vor sechs Jahren neu in den Tierpark kamen. Er hat tiefgefrorenes Fleisch mitgebracht und wirft es in den Teich des Geheges, damit unser Fotograf schöne Bilder machen kann. Aber es klappt nicht, die junge Tigerfrau ist läufig und riecht so gut, dass der Tigermann lieber hinter ihr herläuft als sich das Fleisch zu holen. Jungtiere dürften sie sowieso nicht bekommen, sie nimmt zur Empfängnisverhütung die Pille.
Wie viele andere deutschen Zoos und Tierparks beteiligt sich der Wildpark Lüneburger Heide am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP). Die Aufgabe besteht darin, die Tiere so nachzuzüchten, dass sie sich von der wilden Population nicht unterscheiden. Das bedeutet: Inzucht, der Verlust der genetischen Vielfalt und unnatürliche Selektion sollen vermieden werden. Der Zucht-Koordinator jeder einzelnen Tierart muss also wissen, wer mit wem verwandt ist und er muss klären, welche Tiere sich fortpflanzen dürfen. Deshalb bekommt jedes Tier einen Mikrochip und sein „Stammbaum“ ist in den Zuchtbüchern vermerkt. Anhand der Abstammung und anderer genetischer Faktoren wird im EEP festgelegt, wer für Nachwuchs sorgen soll. Um möglichst Erfolg versprechende Paarungen zu bekommen, müssen die Zoos daher Tiere, die an EEPs teilnehmen, auch untereinander austauschen. Jungtiere sind überall auf der Welt ein Besuchermagnet. Es liegt also im Interesse eines jeden Zoos gute Kontakte zu dem jeweiligen Koordinator zu haben um möglichst eine Zuchterlaubnis zu erhalten. © Jerzy Pruski
Nach den Tigern fährt Jens mit uns zu den Polarfüchsen. Die drei Jahre alte Füchsin Bibi hat Ende April mit 12 Welpen einen Rekordwurf hingelegt. Jetzt, sieben Wochen später, sind die Jungtiere schon gewaltig gewachsen und nur unwesentlich kleiner als die stolze Mutter. Sieben der Tiere sind schon in andere Zoos vermittelt und Jens ist sich sicher für die anderen auch noch Plätze zu finden.
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Unsere letzte Station ist das weitläufige Gehege der Kamtschatkabären. Zwei junge Brüder, die Anfang des Jahres vom Tierpark Hagenbeck hierher kamen und erst einmal das halbe Gehege auseinander nahmen. An vielen Stellen sind die aus Beton und Stahl modellierten Felsen voller Löcher und zerstört, eine Wasserleitung, die einen kleinen Wasserfall speiste, wurde Opfer der überschüssigen Kräfte der Jungtiere. Auch die Altbären wollten die neu Zugezogenen nicht dulden. Jens musste sie trennen und in einen separaten Teil umsiedeln.
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Gleich nebenan wird gerade das Gehege der Wölfe vergrößert. Ziel ist es die beiden Tierarten wieder in einem Gehege zu halten. Wann das soweit sein könnte, entscheidet Jens ganz nach seinem Gefühl. Mit ein paar Monaten rechnet er noch. Übrigens gibt es hier im Tierpark keine Handaufzuchten. Viele Zoos verdienen viel Geld damit, dass Besucher sich mit Wildtieren fotografieren lassen können. Hierfür werden zum Beispiel junge, noch blinde Wölfe am 7. oder 8. Tag nach ihrer Geburt von der Mutter getrennt und durch einen Pfleger mit der Flasche gefüttert. Öffnet das Jungtier am 10. Tag dann seine Augen und sieht den Pfleger, hält er diesen für seine Mutter. Das vermeintlich an den Menschen gewöhnte und gezähmte Tier wird dann für Fotos mit Besuchern herangezogen. Jens erzählt, dass es häufig solche Tiere sind, mit denen die schlimmsten Unfälle passieren und in eine Gruppe integrieren lassen sich natürlich auch schlecht. Als beim letzten Wurf eine Anfrage eines Zoos aus Spanien kam, einige der Jungtiere übernehmen zu wollen, lehnte die Leitung trotz eines verlockenden finanziellen Angebots das ab. Der Wildpark Lüneburger Heide unterstützt keine Handaufzuchten.
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Seit 16 Jahren arbeitet Jens Pradel nach seiner Ausbildung hier schon als Tierpfleger – und er kann sich keinen bessern Job vorstellen. Die Tiere kennenzulernen mit all ihren unterschiedlichen Charakteren und für ihr Wohlergehen zu sorgen ist sein Traumberuf. Dafür nimmt er auch unpraktische Arbeitszeiten und eher wenig Urlaub in Kauf. Aber was soll er auch mit Urlaub? Sein Leben, dass sind in der Hauptsache die ihm hier anvertrauten Tiere. Mehr braucht er kaum.