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Ein Mann, ein paar Pferde und viele Millionen. Henning Rathjen ist einer der erfolgreichsten Trabrennfahrer Deutschlands. Über 20.000 Rennen, mehr als 5.600 Siege, 18 Mal norddeutscher Meister. Im Sulky hat er in den goldenen Zeiten (den 70er und 80er Jahren) Gewinnsummen eingefahren, die schon fast an die Verschuldung kleiner Staaten heran reichen. Damals umstrahlten noch Glanz und Glamour den Trabrennsport, Promis fuhren Sulky, Bundesliga-Stars besaßen eigene Rennpferde. Heute fehlen dem Sport die großen Idole, die Zuschauermengen und das ganz große Geld. Was übrig geblieben ist, sind wunderschöne Pferde, Spaß am Rennen und herzergreifende Geschichten.
Das große Idol der Trabrennbahn begrüßt mich im Arbeiter-Overall. Stroh klebt an der Schulter, braunes Mistwasser tropft von den Stiefeln. Er ist bei seinen Pferden, wo sonst. Auf seinem Hof im Naturpark Aukrug besitzt er ein kleines Paradies mit Friesenhaus, Teichen, Pferden, Esel, Störchen und ganz viel Natur drumrum. Ein Rückzugsort von dem lauten, aufregendem Renngeschäft – für Pferde und Menschen. In der großzügigen Bauernküche lodert das Feuer in der Ofenhexe, die Kaffeemaschine blubbert und ein frischer Apfelkuchen dampft auf der Arbeitsplatte. Der Blick fällt an hellblauen Rüschengardinen vorbei auf Wasser, Weiden und Pferde. Im Zimmer nebenan sind Glasvitrinen prall gefüllt mit glänzenden Pokalen, protzigen Auszeichnungen und vergoldeten Lorbeerkränzen. An den Wänden hängen Fotos: Henning Rathjen mit Otto Waalkes. Henning Rathjen mit Regina Helmich. Henning Rathjen mit Vitali Klitschko, Fritz Wepper, Mark Spitz, Gitte Henning, Karl Dall. © Nadine Sorgenfrei
Mittlerweile hat er seinen Arbeitsoverall abgestreift, sich im sauberen Hemd zu mir an den Tisch gesetzt und mit besten Manieren Kaffee serviert. Mit angenehmer, fast leiser Stimme erzählt er bescheiden von seinen Siegen, seinen unglaublichen Erfolgen und schwärmt immer wieder von seinen Pferden. Ganz der gut situierte, erfolgsverwöhnte Hofherr, könnte man meinen. Doch als er knapp 20 Jahre alt war, war er eigentlich fast schon am Ende. Seine Geschichte ist erfüllt von Verlust, Streit, Glück und Herz. Sie beginnt mit einem absoluten Tiefpunkt und entwickelt sich so, dass sie es als Hollywood-Schinken glatt auf die Oscar-Nominierungsliste schaffen könnte.
Die Familie von Henning Rathjen besaß seit Jahrhunderten einen Hof samt Trabergestüt in Aukrug. Von seiner Mutter lernte Henning das Trabrennfahren, die Liebe und das ganz feine Gespür für die Pferde, was so oft über Sieg und Niederlage entscheidet. In Berlin beginnt er mit Anfang 20 seine vielversprechende Karriere beim Champion Peter Kwiet. Dann die erschütternde Nachricht aus der Heimat: Sein Vater hatte den Hof in die Pleite getrieben, verkauft, die 60 Pferde stehen schon beim Insolvenzverwalter. Die Familie hatte von all dem nichts geahnt, bis zum bitteren Erwachen. Alles verloren, von einem Tag auf den anderen. Das Vertrauen zum Vater zerschlagen, das Verhältnis zerrüttet. Und jetzt springt der Drehbuchschreiber aus Hollywood ein: Ein wohlhabender Investor aus Hamburg erkennt das Potenzial von Henning, glaubt an ihn und kauft seine Pferde für ihn frei. Von da an steht Henning auf eigenen Beinen. „Ich hatte keine Angst und ich hatte kein Geld, also konnte ich alles geben.“ Er setzt sich hohe Ziele, arbeitet hart und wird mit Erfolg belohnt. Dazu kommt noch eine gute Portion Bauernschläunis: In der Normandie z. Bsp. lernt er die Kneippkur für Pferde kennen. Von da an schickt er seine Pferde zu Hause in den Forellenteich – und kuriert damit typische Rennpferde-Lahmheiten. © Nadine Sorgenfrei
Anfang der 70er bekommt er aus Berlin Pit Pan geschickt, einen vierjährigen Traber, dessen Beine nicht mehr mitmachten. Rathjen lässt ihn Wasser treten. Immer wieder, jeden Tag. Dann beginnt er ein Aufbautraining. Nicht auf der Rennbahn, sondern in den Aukruger Wäldern. Die Mühe lohnt sich: Pit Pan wird fit, rennt, siegt und gewinnt in seiner Karriere über eine halbe Million D-Mark. Später wird sogar nach ihm ein Rennen benannt. „Pit Pan hat mich groß gemacht, ein Ausnahme-Pferd“, erklärt Rathjen. Zu Pit Pan gesellen sich noch weiter Erfolgspferde: Lamborghini, Speedy, Jasmin, Rex Ka sind nur einige davon. Henning Rathjen gewinnt in den nächsten zwei Jahrzehnten jedes Jahr etwa eine Million mit selbst trainierten Pferden. „Ich bin sehr dankbar, die große Zeit des Trabrennsports miterlebt zu haben“, sagt er.
Glanzzeiten, die vorbei sind. Die Zuschauerränge sind leer, es fehlen die Idole, zu junge Pferde werden von gewinnsüchtigen Züchtern und Trainern verheizt. Was bleibt, ist die Freude am Fahren. Henning Rathjen setzt sich immer noch in den Sulky, fährt jeden Sommer noch ein paar Rennen mit seinem eigenem Trabernachwuchs und genießt das Leben in Aukrug auf seinem Gestüt und Ferienhof. „Hier nehmen ich Gäste mit auf den Sulky und fahre durch die wunderbare Landschaft. Wer einmal mit mir und einem Traber Gas geben möchte, ist hier herzlich willkommen.“ © Nadine Sorgenfrei
Nadine Sorgenfrei