Wer heute noch etwas von den Gängevierteln der Neustadt sehen möchte, der muss sich zumeist mit den alten Straßennamen begnügen. Durchgreifende Sanierungsmaßnahmen zwischen den 1860er und 1930er Jahren, die Flächenbombardierungen des II. Weltkriegs und die Stadtplanungen der 1950er und 1960er Jahre mit ihren großflächigen Abrissen zugunsten der autogerechten Stadt ließen nur wenig stehen.
Die zumeist mit Fachwerkhäusern bebauten Viertel, deren Wohnungen nur durch schmale Straßen, zum Teil verwinkelte oder labyrinthartige Hinterhöfe und Torwege zwischen den Häusern zu erreichen waren, dienten den mittleren und ärmeren Bevölkerungsschichten als Quartier. Sie waren auf einen kurzen Weg zu ihren Arbeitsplätzen, die meist im Hafen lagen, angewiesen, da es bis in die 1850er Jahre noch keinen nennenswerten öffentlichen Nahverkehr gab. Hohe Kriminalität, Prostitution und heute uns unfassbar erscheinende hygienische Verhältnisse prägten das Bild. Die Bewohner wurden entweder von Wasserträgern mit Trinkwasser versorgt oder schöpften ihren täglichen Bedarf direkt aus den Fleeten – was 1892 in der verheerenden Cholera-Epidemie ihren schrecklichen Höhepunkt fand.
Im Rademachergang erinnert ein Brunnen an den unfreiwillig berühmt gewordenen Wasserträger Bentz, der die neustädtischen Gängeviertel bis zum Anschluss an die städtische Wasserversorgung mit Trinkwasser versorgte. Die Straßenjungs riefen ihm den Spottnamen „Hummel-Hummel“ hinterher und bekamen ein „Mors-Mors“ zurück, kurz für „Klei di an’n mors (kratz dich am Hintern).
Heute bilden die Krameramtswohnungen am Krayenkamp die letzte Möglichkeit eine Hofsituation nachzuvollziehen. Weitere wenige Reste sind am Valentinskamp, am Bäckerbreitergang oder am Alten Steinweg nur dem geschulten Auge erkennbar.
Das Altes durchaus auch erhaltenswert ist, und ein Umdenken stattgefunden hat, zeigt die seit Herbst 2013 begonnene umfangreiche Grundsanierung des Gängeviertels, beginnend mit dem Ensemble in der Caffamacherreihe 43–49. Die Sanierungsarbeiten sollen acht Jahre andauern und rund 20 Millionen Euro kosten. Geplant ist die Errichtung von 80 preisgünstigen Wohnungen, Künstlerateliers und Gewerberäumen. Eine von den örtlichen Künstlern gegründete Genossenschaft, bei der auch Anteilsscheine erworben werden können, soll die Häuser nach der Sanierung verwalten.
Heute leben in der Neustadt, die einst mehr als 100.000 Menschen beherbergte, weniger als 12.000 Einwohner, die allerdings ihr Citynahes Quartier genauso zu schätzen wissen wie einst die Bewohner der Gängeviertel ihr marodes, feuchtes und stinkendes, aber trotz allem auch lieb gewonnenes Viertel. Wen das Thema interessiert, dem sei das neue Buch von Geerd Dahms und Dieter Rednak empfohlen: Die Gängeviertel im Schatten des Michel, Osburg Verlag, 24,90 Euro