Text und Fotos Petra Bassen (Instagram @impressive_hamburg)
Spazierengehen ist für viele von uns eine der neuen Gewohnheiten seit Corona – perfekt geeignet, um die Stadt zu erkunden. Ideal für einen Kunstspaziergang ist jetzt die HafenCity. Umso mehr, weil dort aktuell 16 Kunstinstallationen internationaler Künstler:innen zu entdecken sind. Lassen Sie sich von den folgenden Impressionen zu einem Kunstspaziergang mit der kostenlosen App The Gate inspirieren.
Ausgehend von der viel beschworenen Metapher „Tor zur Welt“ öffnen die Künstler:innen an mehreren Ein- und Ausgängen der HafenCity bis Ende September Tore zur Kunst. Sie zeigen, wie für sie städtische Identität entsteht und was Hamburg für sie bedeutet. Die Reihenfolge der einzelnen Kunststationen ist, auch in der Audiothek in der App, beliebig wählbar. Da überwiegend im öffentlichen Raum, sind sie zudem jederzeit frei zugänglich.
Tattoo trifft Palme
Los geht es mit unserem Kunstspaziergang: Ein blauer LED-Schriftzug „Tattoo“ auf einer drei Meter hohen Skulptur einer abstrahierten teilweise verhüllten Palme? Das macht neugierig. Auf dem Flyer an der Palme erfährt man, dass die Skulptur nur ein Teil des Kunstwerks der Hamburger Künstlerin Franziska Nast ist. In sechs Performances sticht sie Tattoos von sechs in der HafenCity vorkommenden exotischen Pflanzen. Während der Ausstellungszeit werden nach und nach Bilder dieser tätowierten filigranen Zeichnungen auf der Skulptur angebracht. Auf den um die Palme gruppierten Betonwürfel lässt sich übrigens wunderbar Pause machen. Mit etwas Glück trifft man die sympathische Künstlerin sogar vor Ort an.
Verhüllte Standbilder
Während die Palme als Schutz vor dem Hamburger Winter eingehüllt ist, sind die Verhüllungen der Standbilder von Vasco da Gama und Christoph Kolumbus an der Kornhausbrücke nicht etwa als Regenschutz gedacht. Vielmehr lenkt die in New York lebende und aus der Dominikanischen Republik stammende Künstlerin Joiri Minaya damit unsere Aufmerksamkeit auf die selbstverständliche und im Alltag wenig beachtete Präsenz von Stellvertretern europäischer Kolonialherrschaft im Stadtbild. In gewisser Weise übernimmt sie damit symbolisch den Ort. Die Fahnenstoffe sind bedruckt mit Mustern von Pflanzen, denen in indigenen Kulturen schützende Zauberkräfte zugesprochen werden und weisen so auch auf deren Schutzbedürftigkeit hin. Das Kunstprojekt ist eine farbenfrohe Aufforderung, genauer hinzuschauen und das, was wir sehen, zu hinterfragen.
Das Kommando an der Niederbaumbrücke haben definitiv zwei schwerbewaffnete Gate-Keeperinnen übernommen. Die beiden Frauen-Skulpturen des niederländischen Künstlers Marc Bijl (s. o.) kontrollieren den Ein- und Ausgang zur bzw. von der HafenCity. Ein wenig fühlt man sich wie an einem Filmset und ist etwas erstaunt über das eigene kurze Erstaunen darüber, dass diese martialisch wirkenden Rollen mit Frauen besetzt sind. In jedem Fall macht die Installation das Passieren der Brücke zu einem bewussten Vorgang. Wen lassen die beiden Wächterinnen wohl durch?
Global vernetzt
Um virtuelle Gate-Keeper:innen geht es bei unserem Kunstspaziergang in der Rauminstallation „Karla“ des israelischen Künstlers Omar Fast, der damit auch zeigt, dass in unserer digital vernetzten Welt alles global zusammenhängt. In einer holografischen Projektion erzählen drei Angestellte einer großen Videoplattform von ihrer Arbeit: Sie müssen Videos, die sämtliche Abgründe menschlichen Handelns zeigen, ganze zehn Minuten lang ungefiltert ansehen, um dann zu entscheiden, ob das Video gelöscht wird. Nacht für Nacht. In dem abgedunkelten Hotelzimmer ist die psychische Belastung fast körperlich spürbar, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der freundlichen Gesichter und ruhigen Stimmen. Deshalb mein Tipp: Nach Abgabe des Zimmerschlüssels unbedingt noch in den 7. Stock des Pierdrei Hotels HafenCity zu fahren, um an der Bar auf der Dachterrasse bei wunderbarem Ausblick auf Michel & Co. das Gesehene nachschwingen zu lassen. Um die Installation zu sehen, ist eine kostenlose Online-Reservierung erforderlich.
Goldene Spiegelung
Auf dem nach der Hauptstadt Tansanias benannten Dar-es-Salaam-Platz finden sich viele Bezüge zur Handels- und Hafengeschichte. Auch bereits der Titel „Bedform“ (engl.: versteinertes Flussbett) des Messingreliefs der kanadischen Künstlerin Kapwani Kiwanga schafft einen maritimen Bezug. Zudem ist Messing ein häufig für Schiffsanker oder -schrauben verwendetes Material. Von der Straße sieht man nur die Rückseite der großformatigen Installation. Näherkommen lohnt sich, auch wenn man die Botschaft selbst auf der Vorderseite nicht ohne Weiteres entschlüsseln kann. Im Audioguide erfährt man, dass das Relief Muster abstrahierter Takelagen der Handelsschiffe, die um 1900 nach Tansania gefahren sind, abbildet. Die Formen sollen, wie ein versteinertes Flussbett, einen historischen Prozess sinnlich-materiell erfahrbar machen. Ganz unabhängig davon sind die Messingplatten wunderschön, vor allem am späten Nachmittag, wenn das Sonnenlicht golden reflektiert wird und die Spiegelungen tatsächlich leicht an Wellen über einem Flussbett erinnern.
Ein schöner Abschluss des Spaziergangs ist die hellblaue Drehtür auf den Marco-Polo-Terrassen der Installation „Sonámbula“ (span.: Schlafwandlerin) des Argentiniers Eduardo Basualdo. Als Tor ist das Kunstwerk das perfekte Sinnbild für The Gate. Allein schon die Reaktionen der Passanten sind sehr sehenswert – und machen Lust, es selbst auszuprobieren! Die Drehtür entlässt einen mit dem Gefühl, dass man in alle Richtungen weitergehen kann. Ein gutes Gefühl!
Kuratorin von The Gate ist Ellen Blumenstein (Imagine the City). Weitere Informationen unter http://www.imaginethecity.de. Zu dem Kunstprojekt sagt sie: „„Mit The Gate können Besucher:innen die Hamburger HafenCity als Stadt gewordene Vision vom Tor zur Welt entdecken und gleichzeitig neue Perspektiven auf Kunst.“