Maximilian Buddenbohm, Buchautor, Zeitungskolumnist und bekannter Blogger, schreibt für den Hamburg Führer regelmäßig über Hamburger Attraktionen für Familien.
Lego-Zeitreise – eine Ausstellung im Hamburger Helms-Museum
Das Archäologische Museum Hamburg (Helms-Museum) ist in Harburg, also in einer Gegend, mit der der nordelbische Mensch normalerweise eher wenig Berührung hat. Immer wieder erstaunlich, wie dicht das an Hamburg ist, dieser Ortsteil mit dem abweichenden Buchstaben, nur ein paar Stationen mit der S-Bahn, schon ist man weit im Süden, also auf der anderen Elbseite, wo die Tage länger sind. Kann man ruhig mal machen.
„Wegen des großen Erfolges verlängert“, steht auf den Ausstellungsplakaten, und zwar bis 05. Mai. Da hätten wir uns also mit dem Besuch gar nicht beeilen müssen, wenn wir das denn vorher gelesen hätten, aber egal. Nun waren wir da, weil wir dachten, die Ausstellung endet in Kürze, und das dachten wohl ziemlich viele andere Menschen auch, jedenfalls war das Museum üppig voll. Für ein archäologisches Museum sicherlich unüblich voll. Die Sonderausstellung besteht aus verschiedenen Lego-Szenarien, etwa einer mittelalterliche Burg, den Pyramiden, Lagerfeuern aus der Steinzeit etc., dazwischen ein paar andere Museumsstücke wie etwa in Norddeutschland gefundene Mammutknochen oder mittelalterliche Bewaffnung, eher wenig, eher dezent.
Die Legobauten sind ziemlich aufwändig und beeindruckend, allerdings muss man wohl jahrelang selber mit Lego gespielt haben, um die Faszination zu verstehen. Beeindruckend sind die Installationen schon durch die reine Größe, man erinnert sich ja noch ungefähr an die eigenen Kreationen vor zig Jahren, man kann noch so ungefähr abschätzen, was es heißen muss, solche Riesenbauten in tagelanger Arbeit zusammenzusetzen. Man muss sich etwas Zeit nehmen und genau gucken, dann wird es immer besser. Wobei es auf mich als Kind der Sechziger Jahre allerdings etwas seltsam wirkt, wie viele Spezialsteine heute zu Lego gehören, das nimmt dem Spielzeug doch etwas den Reiz. Also sicher nicht generell, aber doch den Reiz, den es für uns damals hatte. Früher mussten deutlich mehr Effekte aus ganz normalen Steinen hergestellt werden, das erforderte viel mehr Phantasie und Einsatz, aber früher war sowieso alles besser, auch die Kartoffeln. Schon klar.
Wir waren mit vier kleinen Jungs in der Ausstellung, die sofort vier grundverschiedene Interessenslagen entwickelten, so dass die Herzdame und ich etwas hektisch durch die Räume spurteten, um die Kleinen komplett im Auge zu behalten. Zwei Dreijährige und zwei Fünfjährige, die sich erstaunlich wenig Zeit nahmen, die Legowunder zu betrachten. Eine halbe Minute für die Pyramiden, zack, fertig. Der Wilde Westen, aha, weiter. Inkas, kenne ich nicht, weg. Eine Raumstation, guck, da. Und während der sich hinhockende Erwachsene noch der Richtung des ausgestreckten Kinderfingers hinterhersieht, ist der Fingerinhaber schon wieder weitergeflitzt, zum Kettenhemd dahinten, das man sogar anfassen darf. Der Erwachsene besieht sich kurz, wirklich sehr kurz die Rakete, dreht sich um und sucht dann lange, wirklich lange nach den verschwundenen Kindern.
Vier Kinder sausten also wie Flipperkugeln von Ausstellungsstück zu Ausstellungsstück und fragten nach wenigen Minuten, ob es noch mehr gäbe. Was eine interessante Frage ist, wenn man gerade Spielzeugwelten aus über einer Million Legosteine gesehen hat, aber in dem Alter gibt es noch kein Genug, kein Zufrieden, kein finales Wow. Noch mehr? Wo? Weiter? Wohin jetzt? Was machen wir noch?
Das ist mir schon mehrfach aufgefallen, Kinder sind im Museum wie gefräßige Raupen. Eine Vitrine nach der anderen, immer weiter, immer weiter. Muße zur Betrachtung ist nicht vorgesehen, kurzes Scannen, sekundenschnelles Speichern, nächstes Motiv. Und erst später, in der S-Bahn oder zuhause, da merkt man dann, was sie tatsächlich alles gespeichert haben und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Das visuelle Gedächtnis von Kleinkindern ist unschlagbar.
Guter Tipp 1: In die aus Lego nachgestellten Szenarien sind jeweils kleine Fehler eingebaut, etwa ein Verkehrsschild mit Tempo 50 in der römischen Siedlung. Wenn man die Kleinen rechtzeitig darauf hinweist, dass es etwas gibt, wonach sie suchen müssen, hat man als Erwachsener deutlich mehr Zeit vor den Bauten. Das klappt aber natürlich noch nicht in jedem Alter.
Nach der Runde durch die Riesenbauwerke kann man die Kinder in die Spielecke entlassen, wo es einerseits Duplo en masse auf dem Fußboden gibt, andererseits das normale Lego auf einem großen Tisch. Und zwar wirklich Unmengen davon. Obwohl es wirklich voll im Museum war, gab es doch keinen Mangel, jedes Kind hatte mehr als genug Steinchen zur Verfügung und die vier Kinder, mit denen wir da waren, verfielen prompt in einen immerhin anderthalbstündigen Baurausch. Sie würdigten uns in dieser Zeit keines Blickes, sie bedurften keiner Betreuung mehr, hatten keinen Hunger und keinen Durst und saßen wie angenagelt still an einem Fleck. Das ist großartig, mehr kann man von einem Museumsbesuch nicht erwarten. Anderthalb Stunden frei! Lesezeit!Oder auch Zeit, einfach etwas im Raum herumzusehen, was ich sehr lohnend fand. Denn dort waren natürlich auch etliche andere Eltern. Eltern in besonderer Erscheinungsform, denn viele fühlten sich anscheinend durch die Situation verleitet, mit ihren Kindern, die gut alleine klargekommen wären, pädagogisch wertvoll zu spielen. Und einige der Mütter und Väter waren das ganz offensichtlich nicht gewohnt. Oder waren schlicht überfordert von der Menge an Möglichkeiten, die sich durch die schier endlose Anzahl an Steinen ergaben. Hochkonzentrierte Väter, die ihren Söhnen etwas vorbauten, filigrane Riesenkonstrukte in feiner Symmetrie und gediegener Farbgebung: „Siehst du, so!“ Mit eingeschobenen Erklärbärphasen, warum man statisch jetzt so arbeiten müsse und nicht anders, während der Nachwuchs ignorant immer weiter Steine in falscher Farbe einfach irgendwo hinpappte. Dozierende Zeigefinger über Bauwerken. Mahnend von grauhaarigen Baumeistern hochgehalten Legosteinexemplare der richtigen Farbe und Größe. „Der muss jetzt!“ Als ob bei Lego irgendwas müsste.Sich mühsam zusammenreißende Väter, denen gerade ein Kind in den Turm gestolpert war, auf den sie eine halbe Stunde oder noch viel mehr Zeit verwandt hatten und in dessen Trümmern jetzt ein fremdes, blöd grinsendes Kind saß, zu dem sie auch noch nett sein mussten, so vor all den Zeugen. Gelangweilte Mütter, die bunte Steinchen auf dem Fußboden mit den Schuhspitzen zusammenschoben und ins Leere guckten. Friedensstiftende Mütter, die Legosteine nach Größe und Farbe sortierten und dann ganz gerecht an kleine Geschwister ausgaben: „Jeder immer nur einen roten und einen gelben!“ Väter, die zischend ihren Töchtern zum zehnten Mal mitteilten, dass sie loswollten, endlich nach Hause, was die Töchter fröhlich immer weiter ignorierten. Mütter, die diese zischenden Väter ebenfalls zischend fragten, ob sie sich jetzt nicht einmal durchsetzen könnten? Ob das denn so schwer sei? Hm? Na was?
Mein Favorit war allerdings der junge Vater, der ein wirklich imposantes Bauwerk geschaffen hatte, einen Wahnsinnsturm, wirklich ausgeklügelt, der Kölner Dom quasi nichts dagegen, mindestens hüfthoch, also erwachsenenhüfthoch. Er stand neben seinem Meisterwerk, als eine Horde neuer Kinder im Raum lachend dagegen rannte, auf dem Weg zum Tisch mit der ganzen Pracht. Und er stand still und nahm eine Haltung an, wie ein Kampfsportler kurz vor einer großen Herausforderung, die Hände an den Seiten, den Oberkörper leicht vorgeneigt, die Augen geschlossen und er atmete ruhig und tief. Sehr lange. Bis sein etwa achtjähriger Sohn ihn fragte, ob alles klar sei. Da öffnete er die Augen, sah seinen Sohn über die Ruine hinweg an und sagte nur: „Selbstverständlich.“ Und ging aus dem Raum.
Denn ganz egal, wie alt man wird – es bleibt doch furchtbar, wenn einem andere die Legokonstruktionen zerdeppern.
Deswegen guter Tipp 2: Lassen Sie die Finger von den Steinen und sehen Sie sich unbedingt die Eltern im Spielraum an. Der Unterhaltungswert ist beträchtlich.