Kolumne von Maximilian Buddenbohm – Im Maritimen Museum

Das Maritime Museum ist, das sieht man schon von außen, ziemlich groß. Der Kaispeicher B, in dem es untergebracht ist, war vor der Renovierung und neuen Nutzung eine Lagerhalle mit rund 12.000 Quadratmetern, da kann man also schon einiges drin unterbringen. Und das hat man dann auch gemacht. 10 Böden, also Etagen, hat das Museum und wir werden nicht die einzigen Gäste gewesen sein, die sich etwa beim siebten Boden gefragt haben, wie viel Prozent der Besucher wohl jemals ganz oben angekommen sind – wir jedenfalls nicht. Wie man das Museum dennoch erfolgreich besucht, das bedarf vielleicht einer kleinen Anleitung und die gebe ich gleich mal, dann klappt das nämlich auch.

Wir waren an einem Sonntag da, an einem Familientag, da kostet der Eintritt für die ganze Familie nur 11 Euro, das ist ein wirklich gutes Sonderangebot. Das ist bei Regen und beschäftigungsbedürftigen Kindern sogar ein echtes Schnäppchen, das kann man ruhig mal machen, so viel gleich vorweg. Die Schließfächer für die Jacken und Mützen und Schals etc. sollte man unbedingt nutzen, im Museum ist es mollig warm. An Familientagen werden im Erdgeschoss reichlich Bastel-Events für die Kleinen angeboten, da sollte man keine Hemmungen haben, sich zu beteiligen und zu verweilen, auch wenn das Haus noch so groß ist und es einen irgendwie reizt, sich da oben alles anzusehen. Alles, wirklich alles hat sich in diesem Museum mit einiger Sicherheit noch kein Mensch angesehen. Abgesehen von dem Herrn, der das alles zusammengetragen hat und über dessen Sammeltrieb man unwillkürlich immer wieder nachdenkt, während man durch die Gänge voller nicht enden wollender maritimer Memorabilien stromert. Ja, man kann nicht anders, man macht sich Gedanken über diesen Mann und diese Sammlung, und es sind Gedanken der Besorgnis dabei, das wird jeder verstehen, der diese vollkommen unfassbare Sammlung gesehen hat. Ein einzelner Mensch? So viel Zeug? Er hat mit sechs Jahren angefangen zu sammeln, man sieht hier auf das Werk eines lebenslang Besessenen und man kann nicht anders, man fragt sich, wie man so sammelnd leben kann. Und wie man mit ihm leben kann, das fragt man sich wohl auch, der Mann hat Frau und Kinder.

Ich greife schon wieder vor, pardon. Die ersten zwei, drei Etagen sind für Kinder und Erwachsene auf jeden Fall interessant, gerade aus Kindersicht wird da einiges sehr richtig gemacht. Es gibt Modelle und Kinder lieben normalerweise Modelle. Es gibt etliche Dinge, die man anfassen kann, an denen man Knöpfe drücken kann. Es gibt etliche Dinge, die gleich so aussehen, als gehörten sie zu spannenden Geschichten – und das stimmt dann auch noch. Hinterlassenschaften von Schiffbrüchigen, Rettungsringe, Logbücher, das sieht oft schon auf den ersten Blick nach Abenteuer aus. Es gibt Filme, und selbstverständlich bleiben die Kinder an den Filmen kleben wie Fliegen am Leim. Man sollte sie dort ruhig kleben lassen, es gibt keinen Grund, zum Weitergehen zu drängen, man kann sowieso nicht alles schaffen in diesem Museum der Millionen Dinge, aber da sagte ich vielleicht bereits. Es gibt übrigens auch spezielle Führungen für Familien, da sollte man ruhig teilnehmen.

Auf einem Zwischenboden steht ein Legomodell der Queen Mary in unbegreiflicher Größe, hunderttausende von Steinen wurden da verbaut, es ist höher als ein Erwachsener. Da kann man ziemlich lange stehen und gucken, und warum sollte man das auch nicht tun, man hat es ja nicht eilig, wie jetzt alle hoffentlich verstanden haben. Das Legomodell kann auf Knopfdruck an verschiedenen Stellen beleuchtet werden, man kann eine Unzahl Details entdecken, das freut auch den legofreundlichen Vater – und welcher Vater wäre kein legofreundlicher Vater. In einer Ecke Kisten mit Legosteinen für freies Spiel, etliche Kinderbücher über Seefahrt und Malblöcke mit Stiften. Kinder, die hier zu versumpfen beabsichtigen, die sollte man ruhig lassen. Daneben eine offene Werkstatt, in der von Fachleuten Modelle repariert werden, filigrane Werkstücke unter Lupen, auch da kann man lange zusehen, wenn einen so etwas interessiert. Sollten die Kinder dort erfolgreich irgendeine Beschäftigung gefunden haben, kann man sich schnell davon stehlen. Mit etwas Glück gibt es gleich um die Ecke nämlich gerade eine Präsentation am Fahrsimulator für Containerschiffe im Hamburger Hafen und man kann dabei zusehen oder auch selber mitsteuern und so einen Riesenkahn durch den verblüffend komplizierten Hafen an den richtigen Kai steuern. Das macht auch dann Spaß, wenn man mit der Seefahrt überhaupt nichts am Hut hat, das ist wirklich faszinierend. Danach kann man übrigens aus dem Stand Reden über Gamification halten und ein wenig wehmütig seine Berufswahl überdenken. Lotse, ach, es hat so einen schönen Klang. Und es sieht so spannend aus, auf den Bildschirmen. Ein wenig auch wie in Science-Fiction-Filmen, wir schreiben das Jahr 2200…

In der Kinderecke steht noch etwas ganz Banales, das wird gerne übersehen, ich bitte daher verschärft um Kenntnisnahme, man neigt doch allgemein ein wenig zum Übersehen in diesem Museum. Da stehen nämlich zwei Flaschenzüge mit identischen Gewichten. Wenn man an den Strippen zieht, dann geht das Gewicht bei dem einen Flaschenzug kinderleicht nach oben, bei dem anderen aber sauschwer. Es ist nur eine andere Anordnung der Rollen, mehr nicht. Das ist Physik, das ist wahrscheinlich nicht einmal besonders schwer. Und wenn man da eine Weile stehen bleibt, dann merkt man, dass es kein Mensch erklären kann. Betroffene Eltern, die fragenden Kinder weiterschiebend, Ausflüchte murmelnd, in Gedanken beim alten Physiklehrer, vor dem inneren Auge nichts als eine leere Tafel. Wie zum Teufel ging das denn noch? Gönnen Sie sich den Spaß und sehen Sie eine Weile zu, wie die Menschen an den Strippen ziehen, nachdenken, die Gewichte noch einmal prüfend hochnehmen – und dann ratlos den Kopf schütteln und sich davon machen. Das hat etwas.

Man kann die Kinder aber natürlich auch einfach weiterlaufen lassen, an der endlosen Parade der Vitrinen vorbei, immer weiter nach oben, noch ein Boden und noch ein Boden, an irre viel Zeug vorbei, dann an noch mehr Zeug vorbei, an Modellen, Modellen, Modellen, an so vielen Modellen vorbei, dass sich kein Kind mehr auch nur ansatzweise dafür interessiert, und das will wirklich etwas heißen. Vorbei an einer Häufung von Exponaten, die einen schnell nicht mehr belehrt oder fasziniert, aber doch deutlich ermüdet. Es ist eben nicht ein Säbel, der gezeigt wird, es sind hundert. Es ist nicht ein Orden, es sind fünfhundert. Von jedem kleinen Werkzeug der Segelmacher gibt es nicht eines, sondern immer gleich fünf, zehn, zwanzig, und sie sind sich ganz ähnlich. Am Ende all dieser Etagen, am Ende all dieser Reihen von Glaskästen wundert man sich still, wieso man eigentlich nur eine Frau und nur zwei Kinder hat, ein seltsames Gefühl beschleicht einen, als müsse alles in größerer Zahl vorkommen. Mit möglichst geringen Abweichungen, der Größe nach gestaffelt, ordentlich datiert. Am besten in Vitrinen. Man wird dieses Gefühl erst wieder los, wenn man an der frischen Luft ist.

Aber, noch einmal, die Kinder fanden das Museum wirklich gut, die hatten Spaß auf den ersten drei Etagen. Machen Sie es also richtig und sparen Sie sich allen Ehrgeiz, den Kindern besonders viel bieten zu wollen. Lassen Sie die Kleinen machen und entscheiden, was immer sie wollen und wenn sie nur bis zum ersten Stock oder sogar nur bis zum ersten Bastelstand kommen – gar kein Problem. 11 Euro sind ein sehr anständiger Preis für einen kurzweiligen Kindernachmittag und die Kinder finden mit großer Wahrscheinlichkeit schon auf den ersten Metern im Museum genug, was sie wirklich interessiert.

Für eine Runde Containerschifffahrsimulator sollte der Nachmittag aber auch reichen, versteht sich.

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