Kolumne von Maximilian Buddenbohm – Im Altonaer Museum 


Es ist gar nicht lange her, dass der Hamburger Senat das Altonaer Museum fast geschlossen hätte. Hat er aber dann doch nicht. Es gab eine Menge Gegenwind in der Kulturszene der Stadt, es gab empörte Bürger und es gab wütende Presse. Und dann gab es eine umfassende Renovierung des Hauses und nun hat es wieder auf und es ist nach wie vor, das wissen verblüffend viele Eltern in Hamburg gar nicht, eines der kinderfreundlichsten Museen der Stadt. Das Lieblingsmuseum meiner Söhne, da gibt es gar nichts zu verhandeln. Und man kann das auch ganz gut erklären, warum das so ist, denn im Altonaer Museum werden ein paar Sachen für Kinder genau richtig gemacht. Ich war gerade mit einer Horde Kinder da, von zwei bis sechs Jahren alt und keines der Kinder hat sich gelangweilt.

Da gibt es etwa, gleich am Anfang schon, einen ganzen Saal voller Galionsfiguren. Die hängen hoch an dunkel getäfelter Wand in einem nur mäßig beleuchteten Raum. Sie sind ein wenig unheimlich, sie blicken ernst, altersweise und geheimnisvoll auf die kleinen Besucher unter ihnen hinab und träumen von alten Zeiten. Ich habe noch kein Kind erlebt, das diese Galionsfigurensammlung nicht sehr beeindruckend fand – und übrigens auch keinen Erwachsenen. Wer die fernwehbittere und ernsthafte Romantik dieser Figuren nicht versteht, die sicher viel mehr gesehen haben, als jeder Besucher da vor ihnen, dem ist wahrscheinlich in keinem Museum der Welt mehr zu helfen. Sie hängen da und starren in den geschlossenen Raum, wo doch vor ihnen unendliche Weite liegen müsste. Im Kopf der Besucher entstehen Schiffe über ihnen, Masten, Segel und Wolken darüber. Man fragt sich, welche Segler diese Figuren geziert haben, aus welchem Land sie ausgelaufen sind, in welchem Hafen gestrandet und warum. Die Gesichter verraten nichts, gar nichts. Die träumen ungerührt immer weiter.

An der Wand des Saals und auf der Galerie geht es um den Walfang, da stehen Harpunen herum und Schiffsmodelle und Walknochen, das ist schaurig und faszinierend, denn das ist alles wahr. Die Tiere waren wirklich so groß, die Schiffe der Jäger waren wirklich so klein, die Harpunen waren so tödlich. Je nach Alter der Kinder kann man ziemlich lange vor den Exponaten stehen und grundsätzliche Fragen erörtern, da zahlt sich auch die Moby-Dick-Lektüre endlich aus. Die Kinder fragen nach alten Zeiten und dem Leben auf See, während einem die Galionsfiguren, die sich mit dem Walfang vielleicht auch ganz gut auskennen, von hinten unentwegt auf den Rücken starren – und glauben Sie nur nicht, man würde das nicht merken, die Blicke dieser seit hundert und mehr Jahren offenen Holzaugen.

Danach kann man durch alte Einrichtungen gehen, durch uralte Wohnzimmer und Küchen aus Noddeutschland, man kann in Betten hineinsehen, die noch in Wände eingelassen sind, mit mit blickdichtem Vorhang davor, und die Kinder staunen und staunen, dass man wirklich einmal so gelebt hat. In solchen Betten. In solchen Wohnungen. In solcher Dunkelheit, alles so schwer und ernst und streng und ganz ohne jede Spur der bunten Leichtigkeit, die heute schwedische oder fast weltweite Kinderzimmernorm ist. In einem Raum steht ein alter Hamburger Kramladen, den man hier nachgebaut hat. Die Regale wurden wieder eingeräumt und ich stehe etwas irritiert davor, denn dort stehen auch Waschmittelkartons und andere Produkte, die ich noch gut aus meiner Kindheit kenne. Ich fühle mich plötzlich hundertjährig und brauche etwas Zeit, um die Erkenntnis zu verarbeiten, dass meine Kindheit anscheinend museumsreif ist.

Da gibt es aber auch noch viele Modelle im Museum, Modelle von Schiffen und von alten Bauernhäusern, von Mühlen und von einem friesischen Haubarg. Modelle, in die man hineinsehen kann, die man von allen Seiten sehen kann. Wie Puppenhäuser hinter Glas sehen sie aus und die Kinder gehen da herum und stellen sich vor, was man spielen könnte, wenn man nur herankäme. Sie raten, was in diesen Häusern und auf diesen Höfen wohl wozu gut war. Das Gestell da? Fische trocknen? Oder Heu? Was alles dreht sich an der Mühle? Was hat man denn bloß mit dem ganzen Platz im Haubarg gemacht? Alles nur für Stroh, wozu braucht man das denn? Meistens mögen Kinder Modelle, die Nähe zum Spielzeug spricht sie an. Es täuscht oft, wie schnell sie daran vorbeirennen und wie blitzartig sie von Vitrine zu Vitrine wechseln, sie gucken doch ziemlich genau hin.
Es gibt einen Raum mit Papiertheater und optischem Spielzeug, da hält man die Kinder besser fest, denn da kann leicht etwas kaputt gehen. Aber wenn man einen guten Tag erwischt und vielleicht nur ein Kind dabei hat und das Kind ruhig und neugierig ist, dann kann man mit den Papiertheaterkulissen zaubern und Geschichten erfinden. Dann kann man die Pappwellen im falschen Ozean branden lassen und das Schiff darauf über den Ozean nach Hause fahren lassen, in den sicheren Hafen. Es war vielleicht auf Walfang, darüber weiß man jetzt ja etwas, das hat man eine Etage tiefer gelernt und den Moby Dick hat man noch im Sinn. Das klappt mit einer Horde aufgeregter Kinder sicher nicht, man lässt den ganzen Bereich dann vielleicht besser aus. Aber für einen Nachmittag mit Vater und Sohn oder eine ähnliche Konstellation ist das schon sehr schön da.

Ganz oben gibt es den Kinder-Olymp, eine Abteilung für die Kleinen. Mit einem Kletterschiff, auf das man hinauf darf, von dem man hinunterspringen darf, auf dem man toben darf. Da kann man sich als Elternteil einfach hinsetzen und abwarten, das kann nämlich etwas dauern, aber warum nicht. Es liegen auch Kinderbücher aus, da kann man sich Zeit lassen, auch sehr viel Zeit. Neben und hinter dem Kletterschiff eine Ausstellung für Kinder, die gelegentlich wechselt, im Moment geht es um Licht und Schatten. Mit ein paar einfachen Experimenten, Schattenspielen, Lichteffekten, da ist für Dreijährige und auch für Achtjährige und Ältere etwas dabei. Ein paar optische Spielereien, Zerrspiegel, da freut sich auch der Zweijährige, den wir dabei haben und der verblüfft kichernd sieht, wie sein Körper im Spiegel in die Länge geht. Das kann also auch schnell gehen, das mit dem Wachsen.

In der Abteilung steht auch ein besonderer Spiegel, der den Menschen so zeigt, wie er wirklich ist. Also nicht spiegelverkehrt. Wenn man vor dem Spiegel steht und sich im Gesicht kratzt, dann tut man das mit der falschen Hand. Man sieht also so aus, wie einen alle immer schon gesehen haben. Je nach Scheitel und Tagesform kann das verheerende Folgen für das Selbstbild haben, ich habe mehr als nur einen Besucher gesehen, der da lange und mit sehr besorgtem Gesicht in den Spiegel sah, ab und zu an seinen Haaren herumzupfte und dann versuchsweise lächelte und es gleich wieder aufgab. Man sieht eben richtig herum nicht unbedingt richtig aus.

Im Nebenraum das Kinderbuchhaus, auch so eine völlig unterschätzte Hamburger Kultureinrichtung. Werfen Sie drüben auf der Seite mal einen Blick auf “Über uns” und “Aktuelles”, das ist eine sehr feine Sache, was da geboten wird. Auch wenn dort gerade keine Veranstaltung ist, kann man sich da bequem etwas verlieren. Bücher entdecken, etwas vorlesen, stöbern lassen und Illustrationen an den Wänden bewundern. Wenn sich die Kinder auf dem Kletterschiff nebenan ausgetobt haben, kann man hier etwas zur Ruhe kommen. Übrigens kann man auch auf der Seite des Museums schon etliche Hinweise auf interessante und besonders faszinierend illustrierte Kinderbücher entdecken.

Und mehr schafft man dann auch gar nicht mehr. Keine Chance für die aktuelle Sonderausstellung “Der Tod und das Meer”, dafür müsste man einmal ohne Kinder ins Museum. Was auch keine völlig abwegige Idee ist.

Aber wenn man Kinder hat und der Regen in Hamburg wieder nicht aufhört – im Altonaer Museum kann man einen Nachmittag wirklich entspannt zubringen. Und weil mir immer wieder auffällt, wie viele Besucher es überrascht – das Museum schließt bereits um 17 Uhr, damit scheinen die wenigsten Gäste zu rechnen. Wenn man also erst um 15 Uhr da ist, verpasst man vielleicht einiges, und das wäre schade.

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