Die Cap San Diego kennt wohl jeder vom Vorbeifahren in der U3, das schöne rotweiße Schiff im Hafen, gleich bei der Haltestelle Baumwall. Das Schiff mit diesem gewissen Schwung in der Außenlinie, es ist ein Schwung, der einen an etwas erinnert. Die Cap San Diego wurde im Übergang von den 50ern zu den 60ern des letzten Jahrhunderts geplant und gebaut; das war eine Zeit, in der auch die Autos und Flugzeuge noch diesen gewissen Schwung hatten, diese unübersehbare Eleganz in der Linienführung, die manchmal etwas ans Pompöse grenzte. Flott nannte man diese Linienführung wohl damals – und obwohl die Cap San Diego schlichtweg ein Stückgutfrachter ist, sieht sie absolut flott aus, gar keine Frage. Es ist ein schönes Schiff und jeder Containerfrachter sieht daneben geradezu schmerzhaft deutlich nach dem aus, was er nun einmal unweigerlich ist: ein hässlicher Klotz. Mit hässlichen Klötzen beladen.
Man kann die Cap San Diego besichtigen, und das sollte man auch tun. Es reicht nämlich nicht, sie im Vorbeifahren zu sehen, auch dann nicht, wenn man sich immer wieder an ihrem Anblick erfreut. Es gibt wechselnde Ausstellungen an Bord, es gibt manchmal auch Veranstaltungen, aber die sind gar nicht unbedingt der Grund, warum man das Schiff gesehen haben sollte. Diesen Grund muss man sich vielmehr erlaufen, in dem man einfach etwas durch die Gänge, Luken und Laderäume stromert. Es ist ein Rundweg durch alle Decks ausgewiesen, man kann das aber auch sehr gut ziellos tun, ganz so, als hätte man sehr viel Zeit. Als wäre das Schiff auf See vielleicht, denn was sollte man dann schon tun, als einfach etwas über die Decks zu schlendern.
Man kann sich alles ansehen, die Brücke, den Salon, die Kapitänskajüte, die Arztkajüte, die Decks. Und nach einer Weile merkt man es dann schon – das Schiff weckt Sehnsucht. Ich bin gar kein besonders reisefreudiger Mensch, aber wer auf diesen Decks nicht Lust bekommt, einmal mit auf große Fahrt zu gehen, der hat vermutlich überhaupt keinen Sinn für Romantik und Träume. Es sieht alles so dermaßen abfahrbereit aus, die Kabinen sind so einladend, die Außenwände strahlen so weiß, als müssten sie zwingend wieder unter sehr blauem Himmel fahren. Die Schiffe dieser Baureihe wurden “Die weißen Schwäne des Südatlantiks” genannt, das ist ein Name, der auch etwas ans Pompöse grenzt, aber er passt, und wie der passt. Es muss ein fantastisches Gefühl sein, auf diesem Schiff zu fahren. Und es fährt übrigens wirklich ab und zu, man findet hier die Termine: http://www.capsandiego.de/fahrten-2015.html
Man merkt das bei der Besichtigung, diese Fahrbereitschaft. Das Schiff sieht eben nicht stillgelegt aus, museal, verstaubt. Das Schiff sieht aus, als würde es dringend wieder loswollen. Die Ladebäume sehen aus, als könnten sie morgen wieder Autos verladen, Kühe, Felle, Maschinen, was auch immer. Der Salon sieht aus, als könne morgen wieder eine zusammengewürfelte Passagiergruppe mit Ziel Argentinien dort Kaffee trinken.
Ich habe bei der Besichtigung mit meinem siebenjährigen Sohn etwas getestet, was ich vorher noch nicht probiert habe, es hat sich aber so dermaßen bewährt, dass ich es unbedingt empfehlen muss. Man kann nämlich einen Audioguide leihen, ihn dem Kind umhängen und erklären, dass überall auf dem Schiff gelbe Aufkleber mit Nummern angebracht sind. Wenn man die gefundenen Nummern am Audioguide eingibt, wird die entsprechende Stelle ausführlich erklärt. Das Kind war vollkommen begeistert, es hatte ein technisches Spielzeug, es musste etwas suchen, es konnte Zahlen eingeben – zumindest für einen Erstklässler ist das eine herrlich passende Aufgabe. Der Junge ist hochkonzentriert von Aufkleber zu Aufkleber gelaufen, hat sich alles ganz genau angehört – und vermutlich nur die Hälfte verstanden, denn der Text ist nicht extra kinderoptimiert, was ihn aber überhaupt nicht gestört hat. Er hatte einen Job zu tun, und manchmal ist das so für ein Kind auch genau richtig. Und was er verstanden hat, das hat ihn eine ganze Weile beschäftigt, man merkt so etwas ja noch tagelang an den Fragen, die sich erst allmählich beim Herumdenken auf dem Gehörten ergeben.
Ich habe mir keinen Audioguide umgehängt, ich habe einfach nur geguckt und geträumt. Ich habe mich in die Kabinen geträumt, in den Salon, auf den Stuhl des Funkers. Ich habe mir Hamburg weggeträumt und den Horizont weiter gemacht, ich habe den Himmel blauer und die Luft wärmer werden lassen. Das Schiff fuhr damals Stückgut nach Südamerika, es beförderte aber immer auch Passagiere. Die hatten ein eigenes Deck, mit Pool und allem, die hatten einen wunderbaren Salon und man würde einiges dafür geben, dort ein paar Tage lesend zu verbringen, während draußen vor den Fenstern Buenos Aires langsam näher kommt. Der Salon sieht nach einer betont würdevollen Art des Reisens aus, kein Vergleich zu der Qual eines heutigen Langstreckenflugs mit anschließende Jetlag. Die Überfahrt nach Amerika hat sehr lange gedauert, ob es aber verlorene Zeit war, darüber könnte man länger nachdenken, wenn man den Salon sieht.
Der vollkommen unfassbar große Maschinenraum besteht aus einer solchen Unzahl von Rohren, Leitungen, Kabeln, Gewinden, Schrauben, Teilen und unerkennbaren Dingsen, die in so dermaßen verwirrender Dichte übereinanderwuchern, dass man glatt Respekt vor den Leistungen der Ingenieure bekommt, die sich so etwas ausdenken konnten. Es muss einen beeindrucken, auch wenn man kein Technikfreak ist, auch wenn man sich überhaupt nicht für Maschinen interessiert. Man steht eben vor einem Wunderwerk der Mechanik, keine einzige der Leitungen in diesem Gewimmel, nicht die allerkleinste, ist überflüssig. Man sieht auf eine gigantische Ansammlung sinnreicher Konstrukte, und wenn man Laie ist, wie ich, dann versteht man von dem riesenhaften Ding exakt gar nichts. Aber zu was der Mensch technisch fähig ist, das sieht man in solchen Maschinenräumen doch wesentlich besser als in modernen Schaltzentralen mit Touchscreens. Wie kann es denn bloß sein, dass sich ein Mensch etwas so komplexes ausdenkt wie diese Maschine? Und wie kann es sein, dass man sie dann tatsächlich nach Plänen, die doch ganze Regale gefüllt haben müssen, so zusammenbaut, dass sie tatsächlich funktioniert, sogar jahrzehntelang, bis heute?
Man muss das ja immer in der Relation dazu sehen, dass man als Vater leicht schon daran verzweifeln kann, beim neuesten Kinderspielzeug die Batterien zu wechseln.
Ich stand staunend vor dem Maschinenmonster, das Kind auch. In der Maschine sind Schrauben verbaut, deren Muttern immerhin so groß wie sein Kopf sind. Die Luft war stickig und dick, es roch nach Öl und Eisen, irgendwo weiter unten schlug Metall gegen Metall, mehr Maschine in einem Raum geht wirklich nicht. Mein Sohn ging etwas ehrfürchtig durch die Gänge unter den Leitungen, ihm fiel nach einer Weile auf, dass er hier unten aber lieber nicht arbeiten möchte, so toll der Motor auch ist. Und dann fiel ihm auf, dass es ohne den Motor unten natürlich oben auch nicht vorangeht, kein Fahrtwind ohne Antrieb, das ist eigentlich einfach. Mitfahren würde er gerne, aber dann doch bitte oben. Wer aber muss dann unten stehen? Gibt es denn Menschen, die gerne unten sind?
So eine Frage muss man nicht beantworten, das kann man auch einmal so stehenlassen. Es ist immerhin eine der größeren Fragen der Menschheit. Und es ist ganz sicher nicht schlecht, wenn ein Museumsbesuch ein Kind darauf stößt.
Die Cap San Diego kann täglich von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden – Audioguides gibt es an der Kasse.