Hoch über dem Elbufer steht Hamburgs eindrucksvollstes
Landhaus aus den Zwanziger Jahren. Die weiße Villa,
von Karl Schneider 1923 im Stil des Neuen Sachlichen
Bauens errichtet, gehört nicht nur zu den architektonischen
Kostbarkeiten der Hansestadt, ebenso ist der phantastische
Blick über die Elbinsel bis weit ins ‘Alte Land’ zu
einem Anziehungspunkt für Hamburger und auswärtige
Gäste geworden. Das Gebäude beherbergt den Kunstraum
Falkenstein, eine Galerie mit Objekten verschiedener
Künstler. Vor allem aber ist hier das PuppenMuseum
Falkensten Sammlung Elke Dröscher untergebracht
Als Elke Dröscher 1984 das einzigartige Bauwerk entdeckte,
befand es sich in einem total verwahrlosten Zustand;
es hatte jahrelang leergestanden und war nur durch einen
Zufall dem Abriss entkommen. Dennoch war es ‘Liebe auf
den ersten Blick’ und Elke Dröscher konnte nach eigenen,
aufwändigen Sanierungsmaßnahmen im Mai 1986 das
Puppenmuseum Falkenstein eröffnen.
DIE PUPPENWELT ist eine Welt, die historische, kulturelle
und soziologische Aspekte besitzt: Historie und Legende,
Kult und Religion haben sich der Puppe bemächtigt. Der
Stammbaum lässt sich bis ins vorchristliche Zeitalter
zurückverfolgen. – Vermutlich wurden kleine Abbilder
menschlicher Gestalt hergestellt, seit der Mensch zu formen
und zu gestalten begann.
Einfache tönerne Puppen aus dem 13. und 15. Jahrhundert
wurden Mitte des vorigen Jahrhunderts bei Erdarbeiten in
Nürnberg entdeckt, aber erst aus dem 16. Jahrhundert und
17. Jahrhundert sind zahlreichere Zeugnisse des höfischen
und großbürgerlichen Spielwerks überkommen.
Neben diesem kunstvollen Spielzeug für Adel- und Patrizierkinder
gab es für das Volk einfaches Schnitzwerk aus Thüringen
und dem Erzgebirge; sie wurden seit dem 18. Jahrhundert
in großen Mengen gefertigt. Im 19. Jahrhundert begann die
eigentliche Entwicklung von Produktion und Vertrieb, die
zum ‘goldenen Zeitalter der deutschen Spielpuppenindustrie’ führte.
Die Geschichte der Puppe veranschaulicht zugleich die
Entwicklung der Mode und den Wandel des Schönheitsideals; sie
ist somit ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung .
Anhand der chronologisch aufgebauten Puppenstuben,-häuser,-
küchen, -läden und Puppen sowie der zugeordneten
zeitgenössischen Kinderbildnisse wird die kulturgeschichtliche
Veränderung der vergangenen zweihundert Jahre im
Puppenmuseum Falkenstein sichtbar und begreifbar.
Der Besucher tritt ein in die Guckkastenwelt der Puppenstuben
und erfährt en miniature, was zu einem gutbürgerlichen Haushalt
unserer Vorfahren gehörte.
Alle Ausstellungsstücke im Museum sind historische Originale.
Das macht die Sammlung so einzigartig und verleiht ihr großen
dokumentarischen Wert, denn Alltags- und Gebrauchsgegenstände
haben sich, wie auch die Kleidung des Bürgertums, kaum erhalten:
sie wurden aufgetragen, umgearbeitet, geflickt, bis der Stoff endgültig
zerschlissen war.
Jedes Detail der Einrichtung ist absolut originalgetreu
dargestellt worden, denn Puppe und Stube dienten der Belehrung.
Mit Hilfe dieser Lehrmittel erfuhren Mädchen, worüber ein
‘ordentlicher Haushalt‘ verfügen sollte und lernten die Aufgaben
einer Hausfrau im ursprünglichen Wortsinn begreifen.
Bereits Mitte des 18.Jahrhunderts erläuterte der Augsburger
Historiker Paul von Stetten: „Bei der Erziehung der Mädgen
muß ich der Spiehl-Sachen gedenken, mit welche manche
spiehlten, biß sie Bräute wurden, nemlich der sogenannten
Dockenhäuser. Darin war alles, was zu einem Hause
und einer Hauß-Haltung gehörte, im kleinen vorgestellt, und
manche trieben dabey die Ueppigkeit so weit, daß ein solches
Spiehl-Werk gegen tausend Gulden und mehr zu stehen kam.“
In den Puppenstuben begegnen uns detailgenaue Nachbildungen
historischer Möbel, Haushaltsgeräte und nahezu aller Einrichtungs-
gegenstände, an denen europäische Kulturgeschichte ganz konkret
zur Anschauung gebracht wird. Waren die Puppenstuben bereits
zu ihrer Entstehungszeit ein Lehrmittel, das die Mädchen darauf
vorbereiten sollte, einmal einen bürgerlichen Haushalt zu führen,
so sind sie für heutige Kinder eine Möglichkeit des lebendigen
Erlebens von Geschichte.
In über vier Jahrzehnten trug Elke Dröscher systematisch hunderte
kleiner Einzelstücke und vollständige Interieurs zusammen,
die ein originalgetreues Bild ihrer Entstehungszeit vermitteln.
Die Sammlung umfasst mehr als 500 zumeist europäische Puppen
und etwa 60 Puppenstuben, -häuser, -küchen und Krämerläden
von acht Generationen. Kinder- und Familienbildnisse aus
der jeweiligen Zeit ergänzen die Inszenierung der Sammlung
und transportieren dabei ganz wesentlich die historischen
Vorstellungen von Kindheit.
Mit Hingabe und Sorgfalt wurden die Puppen nach der
neuesten Mode eingekleidet und lassen uns die aufwändige
Raffinesse der Schnitte und des Materials vergangener
Epochen erkennen. Die Puppen spiegeln einerseits die
Entwicklung der Mode und den Wandel des Schönheitsideals
wider, geben andererseits aber auch zu erkennen, was in vergangenen
Epochen als „kindgerecht“ empfunden wurde. Der Wandel von
der repräsentativen Mode- zur robusten Spielpuppe lässt sich
anhand der Exponate bildhaft nachvollziehen.
Darüber hinaus bewahren die ausgestellten Exponate,
gleichsam wie in einer Arche Noah, vor der Gleichförmigkeit
einer globalisierenden Ästhetik und geben ein Bild der Einzigartigkeit
europäischer Alltagskultur. Die Objekte verfügen über eine
emotionale Wirkkraft und Anmutungsqualität aus sich heraus.
Ergänzend zur permanenten Ausstellung werden
jährlich ein- oder zweimal Sonderausstellungen veranstaltet.
Themenschwerpunkte wie z.B. „Kindheit im Silberspiegel“
mit frühen Lichtbildnissen auf Silbergrund (Daguerreotypien)
und ausgewählten Puppen, Kinderkleidern und Spielen,
die das ästhetische Empfinden der Mädchen um 1850 schulten
oder Präsentationen wie „Bunte Papierwelt im Kinderzimmer“
und „Modewelt ist Puppenwelt“, die mit ihren Beispielen
von professionell hergestelltem, kostbarem Spielzeug aus dem
Bürgertum auf Phantasie und Formenreichtum verwiesen und
zum Nachahmen anregten.
Die kostbaren kleinen Nachbildungen der elterlichen Küchen
blieben natürlich den Kindern wohlhabender Familien, also
vor allem dem Adel und reichen Bürgertum, vorbehalten.
Sie dienten nicht so sehr zur Freude und Belustigung, sondern
waren in erster Linie Anschauungsmittel für die künftige Hausfrau.
Bauern- Handwerker- und Arbeiterkinder hingegen wurden
schon im frühen Kindesalter in den häuslichen Arbeitsprozess
integriert. So war es selbstverständlich, dass die kleinen
Mädchen beizeiten den Umgang mit Küchengeräten kennen
lernten und mit der Zubereitung der ohnehin einfachen Mahlzeiten
vertraut wurden. Das änderte sich auch im 19. und frühen
20. Jahrhundert nicht, obwohl die seriell hergestellten Küchen,
Kochherde und Gerätschaften wesentlich preiswerter wurden.
Kaum eine museale Rekonstruktion oder zeitgenössische
Darstellung können das Ambiente einer damaligen Küche
derartig lebendig wiedergeben wie Puppenküchen. Selten
wurden profane Gegenstände wie Reisigbesen und Seihtuch
oder andere Objekte der Alltagskultur bewahrt. Sie wurden
abgenutzt und verbraucht, dem Feuer oder Müll übergeben
und sind daher im Original kaum oder nur unvollständig auffindbar.
Der Charme und historische Wert aller Puppenküchen,
gleichgültig welcher Epoche oder Stilrichtung sie entstammen,
besteht in seiner umfassenden Originalität.
Die facettenreiche Geschichte der Puppe ist zugleich
eine Historie der Mode. Der ständige Wandel
von Putzsucht und Repräsentation zu einfacher Kleidung
vollzog sich von Generation zu Generation.
Die Damen stellten mit ihrer kostbaren Toilette den
Reichtum und gesellschaftlichen Status der Familie
zur Schau, und sogar die kleinen Mädchen und ihre
Puppen wurden entsprechend herausgeputzt.
Erst Ende des 18.Jahrhunderts entstanden Überlegungen
zur kindgemäßen Art und Weise. Aber auf
die Schlichtheit der Chemisenkleider aus Cretonne
im Empire folgten schon im zweiten Rokoko die
Wespentaille und Volants von manirierter Grazie.
Nicht minder aufwändig war die Coiffüre:die
Haare wurden zu Löckchen gewickelt und drapiert.
Jede Puppengeneration, ob Holz, Papiermaché,
Wachs oder Porzellan zeigt die modischen Neuheiten
nicht nur in Frisur und Garderobe, sondern auch
in Körperform und Gesichtsbemalung.In ihrer vornehmen
Blässe mit zart rosigen Wangen entsprachen
die glasierten Porzellanköpfe ganz dem Zeitgeschmack
des Biedermeiers, während die Biskuitkopfpuppen
mit blonden Mohairlocken und großen
Glasaugen die idealisierte Kindfraugestalt der Jahrhundertwende
darstellt.
Als Reaktion auf diese lockengeschmückten, aufgeputzten
Puppenschönheiten entstanden um 1910 in der Reformbewegung
des anbrechenden ‘pädagogischen Zeitalters’ einfache, natürliche
und kindgerechte Puppen von Käthe Kruse, aber auch die sogenannten
Charakterkopfpuppen einiger namenhafter Manufakturen. Freundeskreis Puppenmuseum Falkenstein in der Villa Karl Schneider heißt der Förderverein, der 2005 gegründet wurde um das Museum bei der
Realisierung von Sonderausstellungen, Publikationen
und anderen Aktivitäten zu unterstützen. Darüber hinaus
können die Mitglieder zum Erhalt des historischen
Gebäudes beitragen. Durch eine Mitgliedschaft bringen
die Freunde und Förderer ihre Sympathie für den Bau
und den besonderen Ort sowie ihr Interesse für die
bedeutende Sammlung zum Ausdruck.