Tina Dico begleitet mich seit einigen Jahren und spätestens seit ihrem Hit „Count To Ten“, den sie bei Ina Müller in der Sendung „Inas Nacht“ gesungen hat, kennt sie auch in Deutschland jeder. Nach ihrem Debütalbum „Fuel“ und anschließenden zehn rastlosen Jahren auf Tour, ist Island die neue Heimat von Tina Dico. Während ihrer aktuellen Tour „Where Do You Go To Disappear?“ treffen ich sie sie im „InterContinental Hamburg“.
Von den Verkaufszahlen über die Chartplatzierungen bis hin zu Gold- und Platin-Awards stehen alle Zeichen auf Erfolgskurs, aber der Warenwert ihrer Musik ist für mich nicht entscheidend. Tinas Songtexte sind wahnsinnig persönlich und ihre Musik episch, kraftvoll und ergreifend.
„Ich möchte mit meiner Musik eine Art Treffpunkt schaffen, an dem ich meine Zuhörer an meinem Leben teilhaben lasse, in der Hoffnung, dass ich an ihrem Leben teilhaben darf.“
Tina Dico
Deine Konzerte sind für mich eine musikalische Reise. Wie fühlt es sich für dich an, wenn du auf der Bühne stehst?
Ja, es ist tatsächlich wie eine Reise und zwar auf verschiedenen Ebenen. Ich stelle meine Lieder an jedem Konzertabend anders zusammen. Jeder Song, den ich geschrieben habe, hat eine sehr starke Bedeutung für mich, da ich ihn an einem bestimmten Punkt meines Lebens geschrieben habe. Wenn ich jetzt einen alten Song spiele, dann muss ich zwar nicht durch das Gefühl, das ich damals hatte, aber es erinnert mich immer noch sehr stark an den Moment. Ich durchlebe mit meinem Publikum jeden Abend sehr persönliche Momente meines Lebens und es mit mir.
Aber ist es nicht anstrengend die Menschen so nah an sich heranzulassen?
Nein, die Menschen bzw. das Publikum sind überhaupt nicht anstrengend. Das einzige, das ich manchmal als anstrengend empfinde, sind die sehr unterschiedlichen Situationen, die man auf Tour erlebt und auf die man sich Tag für Tag neu einstellen muss. An einem Tag stehe ich z.B. auf einer riesigen Bühne bei der größten Fernsehsendung in Dänemark und am nächsten Tag bin ich bei einem Radiosender in Deutschland.
Das sind zwei sehr unterschiedliche Sachen.
Ja, der Kopf und der Körper müssen sich immer wieder auf diese neue Situation einstellen und man möchte ja auch alles perfekt machen. Wenn ich aber auf Tour bin und jeden Abend einem anderen Publikum meine Songs präsentiere, dann lasse ich das Publikum sehr gerne nah an mich heran. Es fühlt sich zwar sehr persönlich an, aber es ist nicht so privat, dass ich es nicht teilen wollen würde. Die Menschen, die zu meinem Konzert kommen sind ja genauso ein Teil davon wie ich und das Publikum zieht hoffentlich die gleiche Energie aus der Musik, wie ich es tue.
Hast du viele Songs geschrieben, die du nie veröffentlicht hast?
Ja und nein. Ja, weil ich zwar viele Songs angefangen habe und nein, weil ich mich selber stoppen kann. Wenn ich merke, das führt nirgendwo hin oder das Lied hat keinen Platz in meinem Gesamtbild oder in meinem Songkatalog, dann höre ich auf zu schreiben. So ein Song ist immer eine Puzzlestück zu etwas Größerem und ich merke sofort, ob der Song ein passendes Puzzlestück sein könnte oder nicht.
„Where Do You Go to Disappear?“ ist dein neues Album, was dich zurück zur Natur gebracht hat.
Ja, ich mag es ein winziger Teil im großen Kosmos zu sein und ich mag die Vorstellung hinter die Kulissen zu gucken. Die Natur ist so viel größer als wir und ich bin nur ein Puzzlestück im Gesamtkontext. Wenn ich darüber nachdenke, dass ich nur ein kleiner Teil hier auf der Erde bin, dann nimmt das einen großen Druck von meinen Schultern.
Du warst bereits eine sehr erfolgreiche Künstlerin und Businessfrau bevor du dein erstes Kind bekommen hast. Wie war das?
Alleine der Gedanke daran bald Mutter zu werden, machte mir Angst. Ich hatte einfach Panik, dass sich alles verändern würde in meinem Leben und vor allem, dass ich mich verändern würde! Dass ich vielleicht keine Sängerin und Songwriterin mehr sein will, wenn ich ein Kind bekomme … oder dass ich vielleicht sogar gar nicht mehr arbeiten will?
Ich war sehr überrascht, als ich dann feststellte, dass sich wirklich nix verändert hat. Es ist so viel einfacher, als ich dachte. Ich kam mit diesem süßen Baby aus dem Krankenhaus nach Hause und ich wollte immer noch Songs schreiben und Konzerte geben und ich war genau die gleiche Person wie vorher! Mein Baby ist natürlich ein supersüßer Bonus in meinem Leben, aber ich bin sehr erleichtert, dass ich mich als Person überhaupt nicht verändert habe.
Was hättest du niemals gedacht im Leben?
Dass ich einmal in Island leben würde. Ich dachte nach den ganzen Jahren auf Tour, dass ich auf jeden Fall zurück nach Dänemark gehen würde, um endlich wieder bei meiner Familie zu sein. Irgendwie habe ich mir das auch wirklich die ganzen Jahre über gewünscht, aber dann verliebt man sich (lächelt) und zieht nach Island.
Ich glaube du würdest sterben, wenn du ein normales Leben hättest.
Ja, das kann gut möglich sein. Ich habe außerdem eine gute Balance gefunden zwischen einem gesettelten Leben und einem fantastischen zu Hause mit einem großartigen Mann und einem tollen Baby. Trotzdem ist es ein verrücktes Leben. Und zwar nicht nur das auf Tour, sondern auch das, wenn ich zu Hause zwischen den Bergen und dem Ozean aufwache. Es ist ein mystisches Land und ich kann die Natur nicht durchschauen, das tut mir einfach sehr gut.
Gibt es eine andere Kunstform neben der Musik, in der du dich zu Hause fühlst?
Puh … also ich bin nicht besonders visuell veranlagt. Ich nutze meine Ohren mehr als meine Augen. Ich bin eine Geschichtenerzählerin und für mich ist die Story wichtig. Ich versuche z.B. in jedem Bild herauszufinden, was mir der Maler für eine Geschichte erzählen will? Ich finde die Malerei großartig und ich kann mich daran erfreuen, aber ich würde nicht sagen, dass ich besonders viel Ahnung davon habe oder alle Bilder verstehe, die ich mir gerne anschaue.
Was genießt du besonders?
Ich bin gerne mit älteren Menschen zusammen und genieße es z.B. mit meinen Eltern und deren Freunden abzuhängen. Diese Generation hat eine ganz andere Form des „Zusammenseins“. Es geht bei ihnen nicht um „das gute spaßige Leben ohne Probleme“ wie in unserer Generation. Es geht darum sich die Anekdoten des Lebens zu erzählen und nicht darum, dass man andauernd immer mehr haben will im Leben.
Was schätzt du besonders an Menschen?
Es ist ungeheuer wichtig, keine Masken aufzusetzen, wenn man Leute erreichen will, ganz gleich ob im Gespräch oder mit Songs. Wenn ich meinen Zuhörern als Songschreiber und Bühnenakteur auf Augenhöhe begegnen will, muss ich ehrlich sein. Ansonsten darf ich keine ehrliche Auseinandersetzung mit meiner Musik erwarten.
Was magst du gar nicht?
Ich mag keine Menschen, die Spielchen spielen. Und ich mag es gar nicht, wenn es nur darum geht, wie man sich am besten in Szene setzen kann und wer gerade dies oder das neu gekauft hat. Ich habe das Gefühl, dass es in den jüngeren Generationen oftmals darum geht in die breite Masse zu passen. Dieses Gefühl kenne ich nicht. Ich möchte nicht irgendwo reinpassen, ich möchte ich selbst sein.
Tina Dico hat nicht nur Songtexte, über die ich gerne nachdenke, sondern sie benutzt einfach tolle Worte, die ich für unsere Generation wichtig finde: „I am allowed to be myself.“ Interview: Madita van HülsenQuelle: IDEAL! Interview Magazin