Kolumne von Maximilian Buddenbohm – Mützen Müssen

„Ich will meine Müsse!“ ruft Lindgrens Michel aus Lönneberga, denn ohne seine Mütze, die er nur Müsse nennt, ist der Junge einfach nicht komplett. Wer Michel vorliest – und ich möchte mir keine Eltern vorstellen, die das nicht tun – wird bei seinen Kindern unweigerlich auch den Wunsch nach einer Müsse wecken. Müssen gehören dazu. Und dafür gibt es in Hamburg eine besondere Adresse.

Ein kleiner, eher unscheinbarer Laden in der Steinstraße, „Mützenmacher“ steht draußen dran. Der Laden ist ohne jeden Schick, die Wände seit Jahrzehnten nicht gestrichen, von Ladeneinrichtung kann man kaum sprechen. Kein spektakulär dekoriertes Schaufenster, keine Leuchtreklame, das braucht es alles nicht. Die Kunden kennen den Mützenmacher, der braucht keine auffälligen Hinweise. Es ist der letzte seiner Art in Hamburg und er macht die Mützen, die in diese Stadt gehören. Fleetenkieker, Elbsegler, Reepschläger, Alte Fock, Prinz Heinrich oder Altstadt mit Besatz. Das sind nicht irgendwelche Bekleidungsstücke, das ist tragbare Tradition, Geschichte to go, Hamburg für auf dem Kopf. Das ist außerdem alte Handwerkskunst, die in diesem Laden schon seit 1892 weitergegeben wird. Man könnte auch noch Schlagworte wie Vintage oder Heritage einstreuen, da liest man doch gerade so viel davon. Und man könnte auch noch von der Förderung des regionalen Handels sprechen und so weiter, aber das passt alles gar nicht. Hier muss man nichts hochjubeln, hier ist alles ganz schlicht. Hier werden DIE Mützen gemacht, das ist eben so, da muss man nicht drüber reden. Hier kaufen auch Exkanzler und andere Prominente, das versteht sich, das weiß man, auch das muss man nicht dauernd erwähnen.

Beim Mützenmacher Eisenberg, Inhaber Lars Küntzel, sollte man mal gewesen sein, wenn man Hamburg zu kennen meint. Etwa so, wie man als Hamburger einen Anzug eben nicht auf der Mönckebergstraße, sondern bei Policke in der Böckmannstraße kauft, aber das ist eine andere Geschichte, die kommt später. Wenn man jedenfalls ein Hamburger Jung ist, dann kann man mit dem Mützenmacher ziemlich früh anfangen, es gibt nämlich auch Kindergrößen, sorgfältig angepasst.

Die Söhne sind jetzt vier und sechs, die Söhne kennen die Geschichten vom Michel aus Lönneberga, natürlich wollen sie Mützen haben. Oder Müssen, egal. Und sie sind sofort begeistert von dem netten Herrn Küntzel, der mit ihnen spricht wie mit anderen Kunden auch. Das ist doch etwas ganz anderes, als im Filialgeschäft der großen Bekleidungskette einfach nur Mützen aus dem Regal oder aus der Grabbelkiste zu nehmen. Die beiden Kleinkunden wachsen im winzigen Laden sofort auf Königsgröße und als sie verstehen, dass sie nicht nur die Form der Mütze wählen dürfen, sondern auch noch selbst aussuchen können, was speziell für sie vorne auf die Mützen genäht wird, sind sie hin und weg. Der goldene Anker wird mit Sorgfalt ausgesucht, andächtig sehen sie zu, wie der Meister die Embleme mit ein paar Stichen an die Mützen näht. Und dann werden auch noch ihre Anfangsbuchstaben in den Mützenrand gestanzt, sprachlos sehen die Jungs zu, wie der Meister den Hebel der alten Maschine herunterdrückt.

Das ist natürlich nicht irgendwas, so eine liebevoll hergestellte Mütze. Das ist DIE Mütze, speziell für genau dieses Kind aus genau dieser Stadt, persönlich hergestellt vom Mützenspezialisten. Mit Erklärungen und Live-Arbeit. Es sieht aus, als würden die Kinder vor dem Laden vor Stolz platzen, als sie die Mützen aufsetzen. Ganz gerade gehen sie und sehen dabei ab und zu hoffnungsvoll zum Himmel, denn der Meister hat ihnen gesagt, dass die Mützen erst dann ganz richtig passen, wenn sie im Hamburger Nieselregen zwei-, dreimal ordentlich nass geworden sind. Und ausgerechnet heute regnet es nicht, auf gar nichts kann man sich mehr verlassen in dieser Stadt.

So eine Mütze kann ein Kind etwa drei Jahre lang tragen, wenn es nach den Jungs geht übrigens auch nachts und in der Badewanne. Die Mützen werden so schnell nicht zu klein, denn zwischendurch kann man sie etwas weiter machen lassen, das geht ganz fix und man hat einen guten Grund, noch einmal in den Laden zu gehen. Die Mützen sind stabil und haltbar, der Preis für die Maßarbeit ist für drei Jahre vollkommen in Ordnung, das Erlebnis für die Kinder ohnehin unbezahlbar. Und natürlich kann man sich auch als Vater ausstatten lassen. Ich habe das ganz nebenbei getestet und laufe jetzt herum wie ein Barkassenkapitän. Sagt die Herzdame. Ich finde, ich laufe einfach herum wie jemand mit Traditionsbewusstsein. Und meine Söhne können jetzt unterscheiden, dass ich einen Fleetenkieker trage, sie aber Reepschläger, das ist Hamburger Fachwissen, das man wirklich gerne weitergibt.

Schließlich muss man aber noch auf eine etwas unerwartete Nebenwirkung der Mützen hinweisen, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. Wenn man nämlich mit zwei Jungs an der Hand durch die Stadt geht, die diese Mützen aufhaben, dann wird man dauernd angelächelt, so etwas kennt man in dieser Stadt sonst gar nicht. Eine ältere Dame hatte tatsächlich Tränen der Freude in den Augen und konnte sich gar nicht sattsehen am Hamburger Nachwuchs, aber auch älteren Herren sieht man die Begeisterung an, wenn ihnen Kinder mit dieser Kopfbedeckung entgegenkommen. So kann man mit zwei Mützen eine Menge Leute glücklich machen – von den Kindern natürlich ganz zu schweigen.

Der Mützenmacher: Steinstraße 21 in der Innenstadt. 

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