Nicht jeder Hamburger ist ein enthusiastischer Freund der Hafencity. Es gibt einiges, was man an dem neuen Gebiet der Stadt nicht unbedingt mögen muss. Die Würfel- und Glas-Architektur, die Eventlastigkeit der Freiflächen, das immer noch nicht aufgeblühte Stadtleben. Die unzähligen Spinnen an den Fassaden, die umweltverpestenden Kreuzfahrtschiffe, den Geruch des Schiffsdiesels, die Mietpreise, die seltsam eng stehenden Häuser – und immer so weiter. Wenn man im Freundeskreis über die Hafencity spricht, sind nur wenige begeistert und sehr viele kritisch bis heftig abwertend, der neue Stadtteil hat es wirklich nicht leicht bei den Hamburgern. So geht es den Neuen natürlich immer und überall, sie brauchen eine Weile, bis sie sich eingelebt haben. Warum sollte es Stadtteilen besser gehen als Menschen.
Da fällt es natürlich umso mehr auf, wenn man in der Hafencity etwas einfach toll finden kann, das ist selten genug. Aber es kommt neuerdings vor! Seit ein paar Tagen ist nämlich der Spielplatz am Grasbrook geöffnet. Sehr einfach mit der U4 zu erreichen, wenn man am Überseeuquartier aussteigt, ist man schon da, einfach Richtung Überseeboulevard aussteigen, der Spielplatz ist wirklich direkt neben der Station. Und er ist toll. Und zwar toll im Sinne von richtig toll. Er ist ziemlich groß, er ist abwechslungsreich. Es gibt Wasserspiele und es gibt Klettergerüste, die endlich einmal auch für Sechsjährige noch herausfordernd sind. Hoch und schwierig, stellenweise sogar so hoch, dass diese überaus lästigen Eltern, die ihren Nachwuchs auf Klettergerüsten permanent an einem Fuß, einer Hand oder am Kragen festhalten, gar nicht mehr ankommen. Es ist wirklich eine Freude, sie endlich einmal zwangsweise auf Distanz zu sehen. Und die Klettergerüste sind nicht nur hoch und vielseitig, sie sind auch so groß, dass man eine richtige Strecke klettern kann, bevor man wieder auf dem Boden landet. Und wenn man die Strecke geschafft hat, kann man auf einem anderen Weg zurück und dann noch einmal auf einem ganz anderen, das wird so leicht nicht langweilig, auch nicht, wenn man schon größer ist. Und die kleinen Geschwister kommen oben noch gar nicht hin, finden unten aber auch genug, um es spannend zu finden. Als Vater denkt man zurück an die drei nebeneinander angeordneten Stangen auf dem Spielplatz der eigenen Kindheit und seufzt leise vor sich hin. Wir hatten ja nix.
Es gibt ein Trampolin, es gibt ein Weidenlabyrinth, es gibt eine Kletterwand und eine Drehscheibe und Sandkisten. Es gibt sogar übergroße Schaukeln für Erwachsene. Fest installierte Bagger, Wippen, Netzschaukeln. Und Bänke mit Tischen an den Seiten, wie praktisch ist das denn – da sollte man sofort auf allen Spielplätzen Hamburgs einführen. Kinder aus der benachbarten Kita und aus der Grundschule des Stadtteils wurden an der Planung des Parks beteiligt, ihr Einsatz hat sich offensichtlich gelohnt. Wenn die entscheidenden Ideen tatsächlich von den Kindern kamen, dann sollte man bitte alle Spielplätze künftig von Kindern planen lassen. Es gibt in einer Ecke auch Sportgeräte für Senioren, das wird sicher keine Idee der Kinder gewesen sein. Der Sinn dieser Geräte erschließt sich den Kindern selbstverständlich überhaupt nicht. Aber egal, Hauptsache an dem Gestänge bewegt sich irgendwas, das wird alles begeistert angenommen und in Grund und Boden geturnt. Ob die Senioren jemals selbst an die Geräte kommen werden – man weiß es nicht. Bei der Eröffnungsfeier sah es nicht so aus. Aber auch das macht wohl nichts.
Für den Park wurden Bäume, Büsche und Rasen gepflanzt und mein dreijähriger Sohn, der eine gewisse Neigung zur Skepsis hat, saß irgendwann müde vom Toben auf dem frischen Grün, sah sich um und zupfte plötzlich interessiert an einem Grashalm. Er betrachtete das abgerissene Stückchen zwischen seinen Fingern ganz genau und fragte mich dann: “Ist der Rasen hier echt?” Er zeigt auf die bilderbuchgrünen Flächen zwischen den Spielgeräten und sah mich fragend an. “Ja, der ist echt”, sage ich. “Ziemlich frisch gepflanzt, aber echt.“ Der Sohn sah sich weiter um und betrachtete die Häuser am Rande des Parks. Er sah auf die Straßen, die Laternen und Schilder, die künstlichen Palmen zwischen den Spielgeräten, auf die ganze Gegend um ihn herum, bis hinten zur Elbe. Er dachte nach und fragte: “Ist das alles hier echt?”
Man kann diese Frage natürlich für einen typischen Kindermundwitz halten, selbstverständlich kann man das. Man kann es aber auch für eine Sollbruchstelle der Stadtentwicklung halten, dieses seltsame Gefühl, das einen in Neubauvierteln oft und fast unweigerlich überfällt. Es sieht eben alles nach Kulisse aus, nach Plastikstadt, nach Inszenierung. Ein Stadtviertel oder auch nur ein Straßenzug hat für unser Empfinden nun einmal nicht neu zu sein. Stadt muss einfach da sein – und wenn sie wie frisch geliefert aussieht, wie vorhin erst ausgepackt, dann stimmt mit ihr etwas nicht. Sogar Dreijährige merken es schon, dass da etwas nicht stimmt. Gar nicht stimmen kann, wie man zur Verteidigung der Stadtplaner wohl anfügen muss, denn was ganz neu ist, das kann nun einmal nicht alt, authentisch, gebraucht und einverleibt aussehen. Nein, es ist fremd, ungewohnt, seltsam und suspekt. Es dauert, bis man dem trauen kann. Und es fällt ziemlich schwer, sich ein neues Stadtviertel über diese Fremdelphase hinaus vorzustellen.
Wer weiß, wenn meine Söhne erst oft genug auf diesem neuen Spielplatz waren, wenn sie vielleicht irgendwann viel später mit ihren eigenen Kindern da hingehen werden und wenn der dann schon alte Park mit den dann großen Bäumen richtig runtergerockt aussehen wird, dann wird die Hafencity vielleicht ein ganz selbstverständlicher Stadtteil sein. Einfach irgendeine Gegend, wie andere auch. Und dann weiß man wohl erst, wie sie wirklich ist. Und ob die Stadtplaner heute, also damals irgendwas richtig gemacht haben oder ob es alles ganz anders kam.
Bis dahin kann man aber schon einmal ein gutes, sinnvolles und auch noch spaßiges Werk tun – und mit den Kindern oft und lange auf den neuen und tatsächlich gelungenen Spielplatz gehen, damit er schnell einen möglichst überzeugenden Used Look erhält. Die Kinder, so viel steht fest, werden wie nebenbei an der lokalpolitischen Aufgabe wachsen.