Kolumne von Maximilian Buddenbohm: Automuseum Prototyp

Erst als meine Söhne mich immer öfter nach den Autos am Straßenrand fragten, habe ich gemerkt, dass ich die oft nicht unterscheiden kann. Da ich mich für Autos nicht interessiere und auch nicht dauernd welche kaufe, habe ich seit Jahren nicht mehr auf Marken und Typen geachtet. Aber die Kinder fragen und fragen, da sieht man dann einmal nach. Ein Blick aufs Logo, okay, ein VW. Da, ein Ford. Das ist ein Dings, na, Hyundai, ach guck. Ich habe gemerkt, dass ich Autos, besonders Kleinwagen, auch nach genauerem Hinsehen kaum unterscheiden kann. Dass Logo erklärt mir die Herkunft, aber nicht die Form. Auch die Söhne sehen nicht auf die Karosserie, sie sehen auf den Schriftzug oder das Tiersymbol, dann wissen sie Bescheid. Und ich stehe daneben und murmele etwas wie “Früher war alles unterscheidbarer. Eine Ente sah nicht aus wie ein R4, ein Panda war kein Käfer.” Die Söhne sehen mich fragend an und wollen wissen, wieso Papa jetzt plötzlich von Tieren redet.

Ich war mit dem größeren Sohn im Automuseum Prototyp, Modelle von früher ansehen.  Das ist ein Museum für alte Autos, Rennwagen und Sportwagen, eigenartige Unikate und Rekordfahrzeuge in absurdem Design. Ein Schwerpunkt liegt auf der Marke Porsche. Da freuen sich die Kinder, Porsche finden anscheinend alle Kinder super. Dagegen kommt man nicht einmal dann an, wenn man es ausdrücklich möchte. Einem Sechsjährigen kann man noch nichts über Autos mit weniger Verbrauch oder mehr Kindersitzen erzählen, in dem Alter hört man nur das Wort “Rennwagen” und muss mehr nicht wissen. Schnell ist super, schnell ist das Wichtigste an einem Auto, schnell ist das, worum es bei einem Auto geht. Keine weiteren Fragen, danke.

Wenn man durch das Museum geht und sich die alten oder uralten Rennwagen ansieht, denen man teils das leidenschaftliche Gebastel der Konstrukteure noch ansieht, wenn man die Bilder der Fahrer und Ingenieure sieht, wenn man ein wenig die Atmosphäre früherer Autorennen und Werkstätten ahnt, dann stellt man eine amüsante Ähnlichkeit zwischen den historischen Helden des Rennsports und dem Kind von heute fest. Sie hätten sich glänzend verstanden, möchte man meinen. Völlig einig im Ziel der rasenden Geschwindigkeit. Ein Rennen gewinnen, was kann es denn Besseres geben? Erster sein, Schnellster sein, Bester sein. Dafür kann man leben, das findet man mit etwa sechs Jahren noch vollkommen einleuchtend. Das fanden andere aber auch ihr ganzes Leben lang einleuchtend, vielleicht sind sie Kinder geblieben. Bei mir hat sich das irgendwann gelegt, ganz seltsam. Geschwindigkeit reizt mich nicht, Maschinen machen mich nicht an, Motoren lassen mich kalt. Porschefahrer sind mir sehr suspekt und ein Autorennen würde ich mir nie ansehen.

Und doch ist die Ausstellung interessant, selbst für völlige Ignoranten wie mich. Es sind eben nicht irgendwelche Autos, die da herumstehen, es sind Wagen mit Geschichte und Geschichten, da steht man davor wie vor einem Menschen mit auffallend charakterstarkem Gesicht. Da steht zwar nur ein Ding, aber es spricht einen doch an. Doch, das hat was. Und schön sind sie auch, die alten Wagen, das kann man bei vielen Exemplaren nicht leugnen. Da sind elegante Formen zu sehen, erstaunliche Kurven, überraschende und exzentrische Designvarianten. Da gibt es Formenvielfalt und keinen Einheitslook wie draußen auf der Straße, wo nach dem Diktat des Windkanals und des Verbrauchs nur noch gleichförmig rundgelutschte Modelle herumfahren. Im Museum geht es um die Erinnerung an eine Zeit, als ein Auto noch ein hochspannendes Abenteuer und ein Kunstwerk war – und nicht einfach nur noch irgendein weiteres Auto zu viel.
Da stehen auch Autos, die unheimlich sind, wie etwa der Tourenwagen Berlin-Rom, im Dritten Reich 1939 zu Propagandazwecken gebaut, auch das ein Porsche. Ferdinand Porsche war mit den Nazis bekanntlich eng verbunden. Das Auto sieht schwarz und bedrohlich aus, wie ein Batmobil aus der deutschen Geschichte. Das Rennen, für das es gebaut wurde, fand wegen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr statt. Ein absurdes Gefährt, unwirklich und alptraumhaft. Es kann irgendwie nicht wahr sein, das muss sich ein Filmausstatter ausgedacht haben, aber man steht ja davor.  Oder der Rennwagen des nach einem Unfall einarmigen Fahrers, der Kurven mit dem Brustkorb lenken musste, wenn er gleichzeitig schalten wollte, da kann man sich die Verbissenheit und den im wahrsten Sinn des Wortes rasenden und vielleicht auch selbstmörderischen Ehrgeiz heute noch vorstellen, wenn man davor steht.

Es gibt auch seltsame Attraktionen für Autofreaks im Museum, etwa ein kleines Kabuff, in dem man etliche verschiedene Motorengeräusche von Rennwagen abspielen kann. Da stehen dann die tatsächlichen oder vermeintlichen Experten, drücken Knöpfchen, warten auf das langgezogene “Brummmmmm” und nicken wissend. Das hat seine eigene Komik, das hätte ich mir stundenlang ansehen können. Dieses ganz spezielle, zustimmende und anerkennende Nicken der Autoliebhaber, wenn es schön tief brummt oder schräg aufjault. Dieses glückliche Glitzern in den Augen der Kenner, das ist dann schon irgendwie niedlich. Sie lauschen gebannt dem Verklingen des Motors nach und dann drücken sie noch einen Knopf, murmeln “Ferrari” oder eine andere Marke und warten hochkonzentriert auf das nächste “Brummbrumm”.  Die großen Jungs.

In einer Ecke steht ein Fahrsimulator, ein Bildschirm an der Wand vor einer echten Karosserie, da ist der Sohn natürlich sofort hingerissen. Da kann er selbst lenken und Rennen fahren, da könnte er auch zwei Stunden sitzen bleiben. Oder drei. Oder den ganzen Nachmittag. Oder morgen schon wieder. Leider kommt er noch nicht ans Gaspedal, Autos werden nicht für Sechsjährige gebaut. Also muss ich ihn auf den Schoß nehmen und mich mit ihm gemeinsam unters Lenkrad klemmen, bequem ist das wirklich nicht. Aber was tut man nicht alles! Ich sitze und trete das Pedal, er lenkt und kreischt, es ist eine Art Arbeitsteilung. Wir fahren ein Rennen nach dem anderen, ich gebe souverän und ausdauernd Gas, endlich ist man als Vater einmal wirklich nützlich.

Dann gehen wir weiter. Der Sohn fragt nach zwei Minuten, ob wir noch einmal zum Fahrsimulator gehen können, und wann? Sofort? Gleich? Wann ist gleich? Wir sind erst ein paar Schritte weit gekommen, aber er sieht schon zurück und zieht an meiner Hand. Der Fahrsimulator ist, da gibt es für das Kind überhaupt nichts zu überlegen, das Highlight des Museums. Während ich noch über Design, Ingenieursschicksale und deutsche Geschichte nachdenke, hat er die ganzen herumstehenden Autos schon wieder vergessen, alles egal, er braucht nur noch den Fahrsimulator, er sieht den Rest des Museums gar nicht mehr. “Nur noch einmal, okay? Nur kurz?”

Zwei Tage nach dem Museumsbesuch fragt er mich, ob ich schon etwas darüber geschrieben habe. “Hast du auch das mit dem Fahrsimulator? Das ist wichtig, das musst du auch schreiben.” “Okay”, sage ich, “aber da gab es ja auch die ganzen Autos, diese Rennwagen. Welchen fandest du denn von denen am besten? Das könnte ich ja auch schreiben, ist doch interessant.” “Das Auto mit dem Fahrsimulator” sagt der Sohn ohne nachzudenken. Ich denke, die Sache ist klar. Wenn Sie mit Kindern in das Museum gehen, der Simulator ist hinten links, im Saal hinter der Kasse.

Aber den Rest kann man wirklich auch einmal gesehen haben. Auch wenn man überhaupt kein Autonarr ist.

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